Geschichten aus dem Sozialismus: Episode 4

29. Nov. 2006

Hallo!

vielen, vielen dank für die vielen positiven bestätigungen, welche ich konstant von euch bekomme. Das baut auf und motviert..
doch ein paar worte, die mir am herzen liegen..auch wenn ich hier stets in meiner mir eigenen, ironisch-sarkastisch-humoristischen art schreibe, so hoffe ich doch, dass es auch inhalt zwischen den zeilen gibt…

doch genug, was gibt es alles zu berichten..viel ist nicht geschehen..aber über das land gibt es soviel zu schreiben, dass es mir ganz gut passt mal nicht nur aktuelle ereignisse zu repetieren.

Die armee war da! Wo? In der universität? Was macht die da? In regel- bzw unregelmäßigen abständen besucht hier die armee die unis und führt übungen mit den studenten durch zur heimatverteidigung od hält bewegende ansprachen.
In froher erwartung der lustigen übungen fuhr ich morgens zur uni. Doch leider wurde ich enttäuscht. Die studenten wurden fakultätsweise aus ihren gebäuden geholt. 2 junge vertreter der armee und ein paar zivilisten verlasen eine kämpferische rede. Anlass: der todestag von 5 medizinstudenten und die bevorstehende geburtstagfeier von fidel. Erschrocken fragte ich nach einzelheiten wie diese denn ums leben gekommen seien und wurde aufgeklärt. Im jahre 1800und ein paar zerquetschte..weit vor der glorreichen revolution hatten diese sich öffentlich kritisch geäussert und die unabhängigkeit von spanien gefordert. Und wurden dafür mit dem tode bestraft. Ich dachte erst die kubaner gedenken dessen, weil es sie erinnern soll, dass auch heutzutage systemkritische äusserungen wenn auch nicht zum tode, dann doch zum plötzlichen, langfristigen verschwinden ohne verfahren führen können..nein war aber falsch gedacht..die jungs sind auch so was wie helden..naja wie soll ich das auch wissen…
Die studenten lauschten aufmerksam den bewegenden worten..und trugen sich hinterher in die anwesenheitslisten ein. Schliesslich ist auch die teilnahme an diesen sachen freiwillig und mit den unterschriften soll nur erfasst werden, wer vllt nähere informationen wünscht..folgen hat das natürlich..ja ne, is klar..hättet ihr mir das 2 tage nach meiner ankunft erzählt hätt ichs vllt geglaubt…
Nach rücksprache mit den verantwortlichen, durfte ich auch bilder machen…

Die abgesandten der armee beim verlesen der rede und die wissbegierige studentenschaft
Wie spannend diese veranstaltungen und aufregend diese veranstaltungen auch für die armeeangehörigen ist verdeutlicht das folgende bild..

Nach einer ausgiebigen unterhaltung mit menschen die hier schon länger leben, hab ich wieder wichtige infos bekommen.
So wird zurecht in den tageszeitungen des öfteren angeprangert, dass es länder gibt, in denen die menschen weniger als 1$ pro tag verdienen..ja das muss man einem kubaner, der mit 250 peso monatlich nach hause geht (das sind ca 11$ : 20 arbeitstage, 30 wollen wir mal gar nicht erst in unsere rechnung einbeziehen, ergibt das satte 55 $cent…) ja das ist das wohl unvorstellbar für den kubaner, der dies dann in der zeitung liest..ab und frag ich mich wie dreist die politik hier denn sein kann bzw muss bis hier was passiert..aber auch dafür gibt es erklärungen..wie zB das langfristige urplötzliche verschwinden von kritischen personen im land der libertad. Und etwas anderes interessantes. Das prinzip des „jefe“ – des chefs – viele werden hier zu chefs gemacht. Von irgendwas sinnlosem. Und wenn es nur „jefe“ des häuserblocks ist. Nicht entwa, dass diese menschen jetzt kompetenzen hätten, od gar entscheidungen treffen dürften. Nein dafür gibt es ja den übergeordneten jefe..ist wie ein pyramidensystem..und ratet mal wo die spitze endet..richtig! die jefes haben dann aber privilegien. So bekommen sie ein konfisziertes auto od haus eines emigranten, mehr lebensmittel und was weiss ich..und sie können andere besser denunzieren..
erinnert mich fast an eine diktatur..aber nee..ist ja quatsch..kann ja gar nicht sein..nicht hier..haufenweise regeln und gesetze, die die menschen in ihrer freiheit beschränken, eine übermächtige, allzeit präsente polizei die rein willkürlich handelt und korrupt ist, genau wie andere korrupte beamte..und menschen die in der regel ein gehalt bekommen, das unter dem existenzminimum ist und mit der angst leben und eine führung, die auf eine einzige person ausgerichtet ist Wer weiss, wie man diesen zustand nennt, der möchte sich bitte an mich wenden!!
Ja und dann ist da noch die welt der touristen. Abgesperrte resorts, extra cafes und restaurants, sanierte stadtteile. Touristen, devisenkühe, die reichlich gemolken werden, dürfen hier vieles. Obwohl kritisches äussern auch schon mal zur „deportation“ führen kann…ab in den abschiebknast, transport, unter bringung und flug muss der gast selbst bezahlen und schlägt reichlich zu buche..so darf er für den „hotelaufenthalt“ einen kubanischen monatslohn pro tag entrichten und ich kann mir nicht vorstellen, das preis-leistung da im gleichgewicht sind…

Ein für mich bis dato sehr positiver aspekt des kubanischen lebens ist, dass ich noch keinen einzigen weihnachtsbaum im november gesehen habe, keine werbeschilder, keine schokoweihnachtsmänner, keine bunten lichter und überfüllte läden..na gut also überfüllte läden gibt’s schon. Hier gibt’s einen sportladen, ja nur einen, nicht zwei, od drei, in den ich schon immer mal gucken wollte, aber wann immer ich da vorbeikomme und reinschauen will, steht eine schlange von kubanern davor, drin dürfen immer nur 3-4 leute sein, damit der wachmann überschauen kann, was die da machen..bin schon ganz aufgeregt, wann der weihnachtstrubel hier losgeht.
Was nicht heisst, dass es hier ruhig ist. Ruhe ist für mich fast luxus..da die fenster nur aus lamellen bestehen, dringen sämtliche geräusche zu mir in meine casa..morgens die hähne, die hunde, danach die schulkinder, sonntags die kirchenglocken, die nicht etwa geläutet werden wie in deutschland, sondern als drohe ein bombenangriff..jeden Sonntag..und grundsätzlich dann wenn ich noch schlafe. Tagsüber bis in die abendstunden der lärm der strassen und umgebenden häuser..irgendwo läuft immer musik und wenn dann laut und es muss auch immer wer gerufen werden..so geniesse ich ab und an die ruhe der natur auf dem campus der universität. Morgens im sonnenschein unter den grossen bäumen sitzend und vor mich hin sinnierend…

Ha..da fällt mir grad noch ne kleine geschichte ein..neulich in kuba..david und ich sind auf dem weg zu einer fiesta..es fehlt der rum..dank unseren kubanischen freunden, wissen wir, wo auf dem weg zu fiesta eine „bar“ – jetzt bitte nicht das bild einer deutsche bar im kopf haben – liegt, die rum verkauft. Also angehalten, nach dem preis gefragt..klingt super..er will eine flasche? Wieso, ich dachte die verkaufen rum in flaschen? Ja, nee..der wird da „frisch“ abgefüllt..mit unserer wasserflasche, eilt er zu seinem kollgen hinterm tresen, der schon die ganze zeit fleissig mit hilfe eines trichters eine flüssigkeit aus einem grossen plastikeimer in flaschen anderer menschen umfüllt..oh wie schön rum vom fass..ganz was feines..als wir dran sind ist das fass aber leer..macht nichts, es steht noch eins hinten. Hey was nen glück..er kommt wieder, die flasche gefüllt. Im gegenlicht ein leicht goldiger glanz. Ja so sieht er aus der gute rum. Angekommen auf der fiesta wird dieser auch gleich verkostet und es stellt sich heraus, dass das getränk tatsächlich rum enthält, sowie den billigen alkohol puro, der in zweifelhafter qualität aus zweifelhaften quellen illegal verkauft wird, und etwas geschmack- und farbverstärker, angeblic irgendetwas mit carbonid, carbonhydrat, ich habs nicht verstanden, aber es klang nicht so als wäre es im lebensmittelgesetz unter der rubrik „erlaubte zusatzstoffe“ aufgeführt. Seid beruhigt. Weder bin ich blind – noch im krankenhaus gelandet. Aber ich habe gelernt. Kaufe nurverschlossene flaschen und wenn diese mit korken verschlossen sind, dann drehe sie vorher und prüfe auf aufsteigende luftblasen und austretende flüssigkeiten….

Das soll erstmal wieder gewesen sein. mal sehen was in nächster zeit so passiert. Heut war ich fleissig, weil morgen wieder eine kleine prüfung in spanisch ansteht. Und gestern hab ich den ersten teil meiner aufbereitungs- & übersetzungsaufgabe fertiggestellt. Mit bescheidenem umfang. Macht man grad ein sechstel der gesamleistung aus. Am wochenende soll es nach trinidad gehen. Was bin ich aufgeregt..ihr könnt ja schon mal wetten, wie viel zeit dabei fürs warten draufgeht!

So mittlerweile lerne ich die vorzüge des deutschen passes und das glück dort geboren zu sein mehr und mehr zu schätzen. Alles das was mir da jahrelang so normal vorgekommen ist, ist hier luxus od gar nicht vorhanden..und ich rede dabei nicht nur von materiellen dingen. Man lebt so selbstverständlich und nimmt alles als so selbstverständlich hin. Und wenn dann von deutscher kultur die rede ist, blickt man neidisch auf andere länder, die ja „so viel mehr“ kultur besitzen. Aber kultur definiert sich nicht nur über musik und andere kleidung. Auch literatur, das selbstverständnis der menschen, die errungenschaft der gesellschaft, die art und weise zu leben. Sicher gibt es auch bei uns vieles zu bemängeln und vieles läuft nicht so wie es laufen könnte und sollte und ja wir sind kalt und introvertiert in deutschland. Und ja es geht anders. Aber bei all der kritik, darf und sollte man das was wir haben, den wohlstand, die möglichkeit fast alles zu sagen was man denkt, wie wir wohnen, was uns an informationen und unterhaltung geboten wird, die freiheiten die es gibt, einfach die mögliche qualität des lebens nicht unterschätzen! Und letztendlich liegt es an jedem selbst wie er lebt und wie er seine präferenzen und prioritäten setzt!
So was geht mir in letzter zeit hier des öfteren durch den kopf…nun gut…

Seid alle ganz herzlich gegrüßt,
Steffen!

About Steffen

Born in 1980 in good old Magdeburg in the GDR (German Democratic Republic). Stayed there for a while, than went to Cuba for a few months. Afterwards finished my studies of business and computer science and started to work in a big consultant enterprise. Quit this job for obvious reasons. Due to the lack of goodwill at the ZVS I started to work as a freelancer in the sector of SAP consulting in Cologne. Planned to do this only for a few months, now nearly passed by two years. Well, time to move on...
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One Response to Geschichten aus dem Sozialismus: Episode 4

  1. Anonymous says:

    Hola Steffen,na so langsam bekommst Du den Durchblick in Cuba.Hoffe mal für Dich, dass das MinintDeinen Bloq nicht liest.:-(Aber sonst, super zu lesen Dein Bericht.Was fehlt, sind halt die “kulturellen” Erlebnisse von Dir. Ist aber wiederum verständlich, wenn die Mam mitliest;-)Salu2 Tiburoncito

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