Es ist kurz nach 5 Uhr am 15. Januar 2012, als ich erwache und mich hektisch auf unsere Ankunft, die 10 Minuten später sein soll, vorbereite. Doch ist all diese Hektik umsonst denn ungefähr eine Stunde später als geplant erreichen wir den Bahnhof von Villupuram. Es ist noch dunkel, als ich mich durch die morgendliche Kälte auf den Weg zum Bus mache und dieser, scheinbar von jemandem gesteuert, der entweder den starken Drang zu sterben, oder unerschütterliches Vertrauen in einen, oder mehrere der vielen Götter der Hindus, Christen und Moslems hat, mich durch den Sonnenaufgang nach Pondicherry bringt. Etwas ist merkwürdig, als ich dem Bus entsteige, niemand, wirklich niemand belästigt mich und will mir seine Dienste, oder Waren anbieten. Ich beginne dieses aufdringliche Verhalten fast zu vermissen. Nachdem ich bepackt wie ein Muli den weiten Weg zu den Rickshawfahrern zurückgelegt habe, dauert es ein Weilchen, bis sich einer dieser bemüßigt fühlt, mit mir zu konversieren und sich um Arbeit zu bemühen. Hier ist der französische Einfluss vergangener Tage noch in Gänze zu spüren.
Im Hostel meiner Wahl angekommen ist niemand vor Ort, es ist ja auch erst um 7 Uhr. Aber dank Telefon kann ich in Erfahrung bringen, dass alles belegt ist, aber ganz sicher jemand auschecken würde, ich solle einfach noch mal gegen Mittag wiederkommen und mein Gepäck könne ich da lassen. Das klingt vielversprechend und so mache ich mich, noch immer müde, auf den Weg zum Frühstück und schlendere anschließend ein wenig durch die Straßen Pondicherry’s die teilweise Kleinode kolonialer Architektur beherbergen, wobei mich bereits nach einigen Stunden das Gefühl beschleicht, ich hätte nun das meiste Sehenswerte bereits entdeckt und ich mich frage, ob ich wirklich über Nacht bleiben soll.
Die Informationen, die ich bei meiner Rückkehr zum Hostel erhalte, es habe niemand ausgecheckt und alle Zimmer seien noch immer belegt, in den benachbarten Hostels – die man aber nicht wirklich empfehlen könne – gäbe es nur noch wenige Zimmer, die für einen überteuerten Preis angeboten würden – was mir zuliebe noch einmal telefonisch überprüft und bestätigt wird – geben dann den Ausschlag für meine Entscheidung, noch am gleichen Tag nach Auroville weiter zu reisen. So teile ich meinen Entschluss den beiden hilfsbereiten Eigentümern – zwei Brüder – mit und frage, ob ich denn einfach mit der Rickshaw dorthin fahren könne. Nein, das ginge auf gar keinen Fall, ich bräuchte auf jeden Fall im Voraus eine Unterkunft, schließlich sei Sonntag und da sei die zentrale Gästeinformation geschlossen. Dazu komme auch noch, dass das Pongal-Fest begonnen habe. Ah, gut, dass ich gefragt habe, also legen wir los und besorgen mir ein Bett. Ich solle mal im Internet schauen, nach Telefonnummern und dergleichen, was ich umgehend tue und die beiden bilden den counterpart am Telefon. Nach vier, oder fünf Telefonaten, in denen sie feststellen, dass so nur hochpreisige Unterkünfte zu arrangieren sind, präsentieren sie mir „Ihre“ neue Idee, denn meine Taktik, über das Internet zu suchen ergebe ja keinen Sinn, ich würde das verkehrt angehen, ich müsse da einfach hinfahren und vor Ort suchen, das sei viel einfacher und Erfolg versprechender, schließlich gäbe es dort Hostels und Guesthouses zu Hauf. Ja, ach so ist das also, da bin ich beinahe geneigt, mich für meine Dummheit, Informationen im Internet zu suchen und im Vorfeld anzurufen, entschuldigen zu wollen. Mit einem herzlichen, aber dankbaren Lachen verlasse ich die beiden und lasse mich von der Rickshaw an einem Café am Eingang Aurovilles absetzen.
Und gleich die erste Person, die ich dort nach Übernachtungsmöglichkeiten befrage, weiß zu berichten, dass diese zahlreich und günstig seien und ich könne eine recht schöne, mit kleinen Bungalows in nur 10 Minuten Fußweg erreichen. So gelange ich zum „Aspiration“ Guesthouse, wo man mir zunächst keinen der Bungalows zeigt, sondern ein geräumiges Doppelzimmer mit Bad in einem zweistöckigen Haus für 860 Rps. (14€) schmackhaft machen möchte. Doch nach meinem Hinweis auf mein begrenztes Budget, werde ich direkt in einen der kleinen Bungalows geführt, wobei immer zwei derer durch einen Gang, indem sich das Bad befindet, verbunden sind. Kostenpunkt: 460 Rps. Bei dem Preis sind auch drei einfache vegetarische Mahlzeiten im gemeinschaftlichen Speisesaal inklusive. Da überlege ich nicht lange und beziehe glatt mein neues Domizil.
Das Gelände zeigt noch deutliche Spuren des Tornados, der am 31.12.2011 an diesem Teil der Küste, südlich Chennais auf das indische Festland traf und mit verheerender Wirkung Schaden anrichtete. In Aspiration wurde glücklicherweise niemand verletzt und auch nur 2-3 Gebäude wurden beschädigt. Die Stromversorgung ist noch nicht wieder konstant und verlässlich hergestellt und an die 1000 Bäume wurden alleine hier niedergewalzt, ganz zu schweigen von den Hinterlassenschaften in gesamten Bereich Aurovilles und der näheren Umgebung.
Als ich mich im Speisesaal daran mache, meine Emails zu checken, dauert es nicht lange und ich bin umgeben von ein paar, nur anfänglich schüchtern wirkenden Kindern – Viki, Shankar und Vishnu – die sie mächtig für mein Telefon mit Angrybirds, das gar nicht installiert ist, aber sie könnten mir zeigen wie das gehe und meinen Laptop samt Youtube interessieren und geschickt versuchen, mich um den Finger zu wickeln und mir meine Technik – wenn auch nur vorrübergehend – abzuschwatzen. Da ich ja eh nur ein Gerät auf einmal benutzen kann, wollen wir mal nicht so sein und die Zwerge sind begeistert, nennen mich nun „Freund“.
Bei genauerer Betrachtung ist Aspiration kein reines Guesthouse, sondern eine community in Auroville, in der ca. 50 Menchen (Erwachsene und Kinder, hauptsächlich aus Indien und Nepal) dauerhaft leben, sowie 10-20 Gäste aus aller Herren Länder, die wenige Tage bis einige Monate dort verbringen. Auroville wurde 1968 gegründet und ist eine internationale Stadt, die von der UNESCO anerkannt und gefördert wird. Basierend auf den Ideen und Visionen des Yogis Sri Aurobindo und seiner engsten Gefährtin, französischen Ursprungs, die von allen nur „mother“ genannt wird, sind die Grundgedanken Aurovilles, dass die Stadt niemandem gehört, ein Platz für weltliche und geistige Entwicklung sein soll und die Bedingung für jeden Menschen, um in Auroville zu leben, die Bereitschaft ist, dem göttlichen Bewusstsein zu dienen, wobei jeglicher Kontext zu einer existierenden Religion vermieden wird. Doch Auroville wirkt nicht wie eine Stadt, da ihre communities weitläufig verstreut sind und obwohl jede dieser communities auf ihre Art eigene Ziele verfolgt (von Nahrungserzeugung, über Forschung, Herstellung verschiedener Güter, soziale Dienste), sind sie doch alle Teil des Ganzen und eng vernetzt.
Im Zentrum der Stadt, die momentan über 2000, aber später bis zu 50.000 Menschen Platz bieten soll wurde in jahrzehntelanger Arbeit das Matrimandir errichtet. Ein kugelförmiger Bau, der den Bewohnern als Art spirituelles Zentrum zur Kontemplation dient und neben den golden scheinenden Außenplatten, die ihm sein charakteristisches Erscheinungsbild verleihen, einen Kristall ungewöhnlicher Größe im Inneren beherbergt, auf welchen Licht von außen gelenkt wird und der so die Haupthalle illuminiert. Da ich nur wenige Tage in Auroville weile, gerade Pongal gefeiert wird und eine Anmeldung im Voraus nötig ist, um das Innere zu besichtigen, bleibt mir dies leider versagt. Aber auch so ist es beachtlich, was Menschen in ca. 40 Jahren dort geschaffen haben, wo bei Gründung der Stadt nichts als trockene Erde war. Allen interessierten Lesern empfehle ich Wikipedia und die offizielle Internetseite Aurovilles zur weiteren Information.
Mittlerweile ist es mein dritter Tag in Auroville und die Kids sind heute besonders aufgeregt, denn der Höhepunkt des Pongal-Fests (eine tamilische Version des Erntedank), welches bisher im Wesentlichen nur durch bunte auf die Straße vor den Häusern gemalte Mandalas und das gleichnamige Gericht, eine Süßspeise aus Reis, Milch und Zuckersirup aufgefallen ist, steht an – das Kuhrennen. Natürlich ist man sich nicht einig, wann dies denn starten solle. Die Angaben divergieren bei 9 Uhr beginnend im Stundentakt und enden 13 Uhr. Allerdings sind sich alle einig, bevor es losgehe, würden die Böller gezündet und das wäre das Signal, sich auf den Weg zur Rennstrecke zu machen. Kurz nach 11 Uhr ist es soweit, die Böller krachen und ich begebe mich zur, sogar von der Polizei abgesperrten, Rennstrecke, wo sich bereits eine bunte Menschenmenge eingefunden hat und die ersten Kühe, „geschminkt“ und mit Früchten und Blumen geschmückt zum Start geführt werden. Das Spektakel beginnt und ist auch bereits nach fünf Minuten vorüber, denn die Kühe sind außer Sicht und so geht das Rennen in eine Art Volksfest über, wo sich die jungen Burschen gegenseitig mit leuchtenden Farbpulvern bewerfen, die Mädchen hinter vorgehaltenen Händen und untern den wachsamen Augen der Mütter und Großmütter kichern und die Jüngsten das zum Pongal erhaltene Geldgeschenk in billiges Plastikspielzeug chinesischen Ursprungs umsetzen.
Vor dem Abendbrot fahre ich noch „schnell“ zum Om-Singen. Neugierig was dies denn sei, habe ich mich dazu entschlossen und erfahre vor Ort die Geschichte. So hat „mother“ vor ihrem Tod einen Musiker und Opernsänger beauftragt eine Musik, oder einen Gesang zu finden der das göttlichen Bewusstsein verkörpere, woraufhin dieser suchte und suchte und nicht fündig wurde, bzw. „mother“ seine Vorschläge ablehnte, bis er – mir ist entfallen, ob vor oder nach ihrem Tod – mit dem „Om“ vor der Tür stand. Und so wird regelmäßig in Auroville in einer Art sakralem Kuppelbau ein Om-Singen veranstaltet, wo sich Männer und Frauen gegenüber sitzen und nach Aufwärmen der Stimmbänder unter professioneller Anleitung für ungefähr 30 Minuten „Om“ singen, was erstens zu einer bemerkenswert friedlichen Atmosphäre und zweitens zu einer interessanten Mischung aus Schwingungen und Vibrationen führt, man könnte fast sagen elektrisierend.
Erfrischt und in guter Laune erreiche nach Beendigung des Singens den Speisesaal, wo ich noch einige Reste des Abendbrotes zusammenkratzen kann, bevor ich mich ein letztes Mal in Auroville zu Bett begebe.
Mein letzter Tag ist der erste „normale“ Tag, nachdem das Pongalfest vorbei ist und ich nutze ihn, um das Gästezentrum Aurovilles und das Matrimandir – leider nur von außen und aus der Ferne – zu besuchen. Dennoch wirkt es faszinierend und auch das architektonische Modell zu Stadtentwicklung ist interessant, welches zeigt, wie dort die 50.000 Menschen einmal zusammenleben sollen. Man darf gespannt auf die weitere Entwicklung der Stadt sein.
Was mich persönlich ein wenig verstört, ist die Tatsache, dass in ganz Auroville die Bilder von Sri Aurobindo und „mother“ hängen und stehen und man sich gern an deren Aussagen festklammert, da ich kein großer Freund des Personenkultes und Götzendienstes bin, aber ich mich auch frage, wenn man denn in Auroville dem „göttlichen Bewusstsein“ dienen will, also einer höheren Ebene, wieso brauchen die Menschen dann doch wieder ihre Gurus, Götter, Heilige, die sie in Form von Bilder, Statuen und anderen Objekten verehren, anbeten und verantwortlich machen können.
Mein nächstes Ziel auf dem indischen Festland ist Chennai, genauer gesagt der Flughafen von Chennai. Da mein Flug von dort am nächsten Morgen 10 Uhr geht, aber mir die Busverbindungen für Nacht- und besonders frühe Busse nicht besonders verlässlich erscheinen, habe ich – glücklicherweise – eine Mitfahrgelegenheit in einem klimatisierten Taxi gefunden. Und so kommt es, dass ich um 1.30 Uhr nachts von Babu abgeholt werde, wir noch Sigrid aus Deutschland einsammeln, die nach Bombay will und uns ganz smooth auf den Weg zum Airport machen, den wir kurz nach 4 Uhr erreichen. Was für Sigrid perfekt ist, da ihr Flieger planmäßig um 6 Uhr abheben soll, bedeutet für mich dass ich ein paar Stunden in der professionell unterkühlten Wartehalle ausharren darf, bevor es losgeht.
Kurz bevor das Boarding beginnen soll, husche ich noch mal schnell zur Toilette, denn wer will schon mit voller Blase boarden und muss dann noch einmal durch einen Sicherheitscheck. Nach meinem Empfinden bin ich gut in der Zeit, aber anscheinend sieht Air India dies anders, zumindest halten sie es für nötig mich auszurufen, während ich grade von einem grimmig dreinschauenden und schnauzbärtigen Sicherheitsmitarbeiter abgetastet werde. Ja, nun aber fix. Freudig lächelnd und mit Boardingpass und Reispass winkend erreiche ich das Gate, wo ich bereits erwartet werde, Individualbetreuung erhalte und schließlich einen ganzen Bus, nur für mich bekomme, der mich zum Flieger fährt. Doch als ich diesen erreiche ist alles halb so wild, steigen doch gerade die letzten aus dem vorherigen „Linienbus“ und die Gangways sind noch gnadenlos überfüllt – alles im grünen Bereich. Nur wenige Minuten später sitze ich an Board der Air India Maschine und hebe kurz darauf ab, zu meiner letzten Station in Indien…den Andamanen..
Nice MATE!!! tg