St. Petersburg

Im Morgengrauen des 21.08.2011 gegen 6:20 Uhr Ortszeit entsteige ich dem Zug im ältesten Bahnhof der Stadt. Und das, nachdem ich nur 10 min früher erwacht bin, da mein Wecker nicht klingelte. Also husch-husch, raus aus den Federn, kurz etwas kaltes Wasser ins Gesicht und schnell die Sachen zusammengepackt.

Die Schönheit des Bahnhofs nehme ich angesichts der Uhrzeit und Umstände nicht wahr, suche stattdessen nach einem Geldautomaten, da ich sowohl Transport zum Hostel, als auch dieses selbst bei Ankunft bezahlen muss. Der Bahnhof hat zwei Ausgänge und geschickt wähle ich jenen, der keinen Geldautomaten beinhaltet, gehe dann aber auch davon aus, dass es anscheinend keine Geldautomaten in russischen Bahnhöfen gebe. Ein Irrtum wie sich einige Tage später rausstellen wird, als ich den Bahnhof durch den anderen Ausgang verlasse. So trete ich bepackt wie ein Muli hinaus auf die morgendlichen menschenleeren Straßen St. Petersburgs. Verlassen und grau sind sie, ab und an ein Auto, spät heimkehrende Partygänger, umgeben von leichtem Alkoholgeruch und ab und an leere Gesichter mit großen Augen…Ein herzliches Willkommen!

Zumindest ist es nur ein grauer Morgen und es regnet nicht. Nach ca. 10-15 Minuten habe ich einen Automaten gefunden, auf Skimming-Technik untersucht und halte freudig meine ersten russischen Rubel in Händen. Großartig! Passenderweise ist auch gleich ein Eingang zur Metro in der Nähe, den ich benutze, um anschließend der im Ticketschalter sitzenden Dame fortgeschrittenen Alters, die gemäß ihres Gesichtsausdrucks nur wenig Freude an ihrer Arbeit empfindet, ein „adin biljet, paschaluista“ zusammen mit einem aufmunternden Lächeln und einer 1000-Rubel-Note zu präsentieren. Das Geld wird nach einer Echtheitsprüfung akzeptiert, die Metromünze wird ausgehändigt – der Gesichtsausdruck bleibt. Okay, okay..wir müssen ja keine Freunde werden. Also geht es eine lange Rolltreppe hinunter und lang heißt wirklich lang. Dazu befindet sich die Rolltreppe in einem großen Tunnel, welcher bei mir den Eindruck erweckt, ich würde in einen geheimen Bunker des KGB geschleust, so dass ich noch mal nach oben schaue, falls ich das Tageslicht doch nicht so schnell wieder sehen sollte. Klappt aber alles, ich hüpfe in die Metro, steige um, fahre weiter, steige aus und lege die letzten 1-2 km von der Station zum Hostel zu Fuß zurück.

Das Hostel befindet sich in einem historischen Gebäude im Zentrum der Stadt. Dabei sei erwähnt anscheinend gibt es nur historische Gebäude im Zentrum, da Leningrad im 2. Weltkrieg zwar belagert, aber nicht bombardiert und zerstört wurde. Nicht nur architektonisch betrachtet, ein Glücksfall. Auf mein Klingeln hin öffnet sich die Haustür, so dass ich eintreten und „MIR Hostel – 5th floor“ lesen kann. Nun gut, auf geht’s, die breite (Marmor?)Treppe hinauf in die fünfte Etage. Beim Betreten der zum Hostel umgebauten Wohnung hebt sich meine Laune. Ein dunkler Holzfussboden, geschmackvolle Dekoration, bequeme Couches, WLAN, sowie ein kleines Frühstücksbüffet erwarten mich bereits sehnsüchtig.

Also nicht lange gefackelt, ein paar Toast geschmiert, Tee gekocht, gemütlich hingesetzt und erste Kontakte zu den nach und nach Erwachenden geknüpft. Somit bin ich nach 30 Minuten satt, zufrieden und ziemlich gut informiert, was es St. Petersburg zu sehen gibt. Einchecken geht allerdings erst ab 11 Uhr, meine Sachen könne ich jedoch dort lassen. Da ich mich nach den beiden Tagen im Zug stark nach einer Dusche sehne, bleibe ich bei meinen Sachen und studiere noch etwas den lokalen Reiseführer, bevor ich pünktlichst einchecke und meinen Körper einer reinigenden Zeremonie unterziehe. Einzelzimmer gibt es übrigens nicht und da ich kein Doppelzimmer alleine bezahlen möchte, habe ich die untere Etage eines Doppelbetts im Gruppenschlafraum, welchen ich mit 7 anderen Menschen teile. Zudem liegen auch um 11 Uhr noch drei oder vier Menschen im Bett und herber Alkoholgeruch in der Luft. Hat schon etwas von Schulausflug das Ganze…

Im Anschluss daran breche ich auf, um die Umgebung zu erkunden. Mir wurde Neu-Holland empfohlen, eine kleine Insel, umringt von Flüsschen und Kanälen, auf der verfallende Gebäude stehen. Diese Liegenschaft ist nun im Visier von Herrn Abramowitsch, der aus dem Schandfleck ein Kleinod zaubern möchte und dazu einen Ideenwettbewerb ausgerufen hat. Angekommen erwarteten mich alte Festungsanlagen aus dem 18. (?) Jhd., sowie eine leidlich große Wiese, auf der  etliche Kinder und deren Eltern,  verzweifelt versuchen, Drachen steigen zu lassen. Von insgesamt ca. 12 möglichen Drachen, steht genau einer in der Luft. Es muss am Wind liegen…

Würde die Sonne scheinen, würde ich auch glatt dort bleiben, da jedoch eine konstante Wolkendecke den Himmel bedeckt und es obendrein noch windig ist, verzichte ich darauf und ziehe von dannen, Richtung Newa. Die historische Altstadt ist wahrlich imposant. Nicht nur, dass die historischen Gebäude sehr gut erhalten sind, sie haben auch meist einen monumentalen Charakter. Zwischendurch finden sich immer wieder Statuen, Paläste und andere Baukunst. Für kulturhistorisch Interessierte Menschen eine unglaublicher Schatz. Ich schlendere indessen an der Newa entlang und zähle die Anzahl der Stretchlimousinen, die mir in der knapp-5 Mio.-Einwohner-Stadt begegnen. Bei acht oder neun höre ich auf, denn anscheinend gehören die zum ganz normalen Stadtbild.

Also kurz noch bei der Statue von Peter dem Großen vorbeigeschaut bis ich zufällig vor der Eremitage stehe. Vor dem unüberschaubaren Komplex von Prachtbauten öffnet sich ein riesiger Platz, reichlich gefüllt mit Touristen aus aller Herren Länder. So auch die Eremitage selbst, doch wer das Ticket an einem der unscheinbaren Automaten im Eingangsbereich erwirbt, umgeht die mitunter stundenlange Warterei am normalen Schalter. So schreite ich vorbei an all den Wartenden, gebe artig meinen Rucksack an der Garderobe ab und trete ein, in eines der bedeutendsten kunsthistorischen Museen.

Das Spektakel beginnt für mich mit Exponaten aus Ägypten. Amphoren, Sarkophage, Leichentücher, etliche Scherben und als Höhepunkt eine partiell entwickelte Mumie füllen den ersten Saal. Es geht weiter mit etlichen griechisch-römischen Statuen und Büsten und Amphoren. Dergestalt setzt sich die Dekoration der durchaus prächtigen Säle fort, was meine Aufmerksamkeit und Konzentration spürbar und recht schnell schwinden lässt. Zwischendurch kämpfe ich immer wieder mit den verschiedensten Reisegruppen, deren Teilnehmer sich unvorhersehbar im Raum bewegen. Bis auf die Asiaten, die stehen meist..meist dort wo man sie am Wenigsten gebrauchen kann. Am Anfang, oder Ende einer Treppe, aber auch bevorzugt vor, in und nach einer Tür. Mittlerweile befinde ich mich inmitten lauter Gemälde französischer, spanischer, italienischer, niederländischer und auch deutscher Herkunft (u.a. da Vinci, Michelangelo, Rubens, Rembrandt), die eine gewaltige Sammlung darstellen. Da ich jedoch kein ausgesprochener Kenner der Kunstgeschichte bin, den Louvre bereits ausgiebig besuchte und die Gemälde der großen Meister stark umlagert werden, wird mir nach dem 25. Jesus am Kreuz und der 19. Maria mit dem Kinde doch langweilig und es gelingt nur noch ausgewählten Exponaten meine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Just als ich glücklicherweise in den Bereich der zeitgenössischen Kunst vordringe, beginnen die omnipräsenten älteren Damen, welche adrett und landestypisch gekleidet und geschminkt sind, die Leute hinauszutreiben und die Türen zu schließen. Dennoch nehme ich mir noch kurz die Zeit, bei den Werken Picassos zu verweilen, bevor ich die Eremitage nach ca. 2,5 Std. verlasse.

Um den Tag gebührend zu beenden, gönne ich mir noch ein gustatorisches Erlebnis in einem in einem liebevoll begrünten Hinterhof gelegenen Restaurant, bestehend aus Heilbutt an Pistaziensauce und zwei Gläsern hervorragendem australischem Shiraz. Ich bin überrascht, wie gut es sich in Russland speisen lässt, wenngleich es für den Ortsunkundigen schwer ist, im Zentrum St. Petersburgs traditionelle russische Küche wie Borsch, Blini und Pelmeni zu finden. Danach geht’s zurück ins Hostel, wo man damit beschäftigt, ist Big-Bang-Theory (amerik. Serie) zu schauen und ich mich davon erheitern lasse. Unterbrochen wird der „Spaß“ ab und an von einem jungen Deutschen, der mit seiner Freundin vor Ort ist und auf seinem Notebook das Fußballspiel seiner Lieblingsmannschaft live verfolgt. Seinen dabei durchlebten Gefühlsregungen verleiht er gerne, oft und lautstark durch Uhhh‘s, Ohhh’s, Jaaa’s, Neiiiiin’s Ausdruck und scheut auch keine umfangreichen Erklärungen der Lage. Das Auditorium ist „unglaublich beeindruckt“ von der Tatsache, dass Hannover96 bei einem Sieg das allererste Mal in der Vereinsgeschichte die Bundesliga anführen würde, wonach es zwischenzeitlich, aber nicht letztendlich aussieht. Mir ist das total egal.

Der nächste Tag ist dominiert vom Ausflug zum ca. 30km entfernten Petershof, der pompösen Sommerresidenz von Peter dem Großen, jener der auch St. Petersburg begründete. Naja, das Schloss an sich ist gar nicht so pompös, aber die ca. 500 Springbrunnen und Fontänen, sowie die vergoldeten Statuen, die den Park zieren und die vergoldeten Details und Spitzen der Dächer lassen es pompös erscheinen. Gott sei Dank ist der Park recht groß und bietet ausreichend Gelegenheit den Massen zu entfliehen. Zudem ist direkt am Finnischen Meerbusen, was angenehme Aussichten und eine maritime Atmosphäre schafft. Das Spazieren im Park kostet seine Zeit und Mühen, so dass ich leicht erschöpft zur Abendbrotzeit wieder im Hostel bin. Empfehlung des Tages im Hostel: ein russischer Fastfood Laden, wo Blinis verkauft werden. Klingt gut – probiere ich aus. Blini sind meines Erachtens Äquivalente zu französischen Crêpes, in Russland herzhaft (mit Pilzen, Hack-/Fleisch, Käse o.ä.), oder süß (mit Schokolade, Honig, Früchten o.ä.) gefüllt. Kann man schon mal essen und ist auch gar nicht so teuer, ca. 200 Rubel (5€) für 2 Stück. Ein weiterer Vorteil des Ladens ist, er liegt direkt auf dem Weg zum 24 Std. Getränkeshop, in welchem ich freudig eine Flasche Wodka, der mir wärmstens empfohlen wurde, für ca. 6€ erwerbe. Mit diesem eile ich zurück, um den Wodka schnellstmöglich im Eisfach zu platzieren. Dort gebe ich ihm nur knappe 20 Minuten, dann habe ich auch schon Freiwillige – in Form von drei in Paris lebenden Schauspieler/innen gefunden – die bereit sind, das Glas zu erheben. Peu á peu wächst die gesellige Runde, neben weiteren Konsumenten kommen Brot, Käse, Kaviar und Wein hinzu, bis unser brasilianischer Freund Andrei kurz nach 12 Uhr verkündet er habe nun Geburtstag, was im Wesentlichen dazu führt, dass gratuliert und eine weitere Flasche Wodka geleert wird.

Der darauffolgende Morgen beginnt etwas zäh, nicht nur für mich. Mein kubanische Freund Reinier, der seit 2,5 Jahren in St. Petersburg lebt, hat sich gemeldet. Er ist zurück aus Kuba und so speisen wir typisch Russisch zu Mittag – es gibt Sushi. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass sich tatsächlich im Stadtzentrum alle 100 m ein Sushi Restaurant befindet. Nachdem wir uns einige Jahre nicht gesehen haben, gibt es viel zu erzählen. Damit dabei keine Thrombose entsteht, beschließen wir etliches davon durch die Stadt flanierend zu tun. Dabei passieren wir auch die ein oder andere Sehenswürdigkeit.

Am Abend geht es früh ins Bett und der nächste Morgen wartet mit Regen auf. Somit fallen Boots- und Bustour aus und ich informiere mich ausgiebig über den weiteren Verlauf meiner geplanten Reise und checke aus. Im Hostel kann ich ohne weiteres noch bleiben. Nach dem Mittag kontrolliere ich noch mal meinen abendlichen Flug, wobei ich feststelle, dass dieser ca. 1,5 Std. früher als geplant geht. Nebenbei wird noch in Erfahrung gebracht, wie denn der Flughafen am einfachsten zu erreichen ist und kurz nach 17 Uhr wird das akquirierte Wissen in die Tat umgesetzt. Check-In und Security-Check überstehe ich problemlos, so dass ich gegen 20 Uhr den Flieger besteige der mich nach Moskau bringt, von wo aus es nach Irkutsk in Sibirien geht…

About Steffen

Born in 1980 in good old Magdeburg in the GDR (German Democratic Republic). Stayed there for a while, than went to Cuba for a few months. Afterwards finished my studies of business and computer science and started to work in a big consultant enterprise. Quit this job for obvious reasons. Due to the lack of goodwill at the ZVS I started to work as a freelancer in the sector of SAP consulting in Cologne. Planned to do this only for a few months, now nearly passed by two years. Well, time to move on...
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2 Responses to St. Petersburg

  1. Cata says:

    I feel excluded 🙁

  2. Bärchen says:

    Liest sich wie ein Buch, sehr geil 😉

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