2. Etappe St. Petersburg – Irkutsk

Mein Flug nach von St. Petersburg nach Irkutsk hat einen Zwischenstopp in Moskau, wo ich einen geplanten Aufenthalt von ca. 1,5 Std. habe. Anscheinend habe ich relativ spät eingecheckt, oder ich war dem jungen Mann am Check-In unsympathisch, jedenfalls habe ich auf meinem Flug nach Moskau einen der heißbegehrten B-Sitze. B- und E-Sitze sind in den Maschinen mit je drei Sitzen pro Seite die mittleren Plätze, wo grundsätzlich die Armfreiheit und Möglichkeit zum stressfreien Schlafen aufgrund beidseitiger Nachbarschaft stark eingeschränkt sind.

Zum Glück habe ich Omas aufblasbares U-förmiges Nackenkissen dabei, welches sie mir zum Abschied mit auf die Reise gab. Das ändert zwar nichts an der mangelnden Armfreiheit, aber so kann ich zumindest ein Nickerchen machen. Halb so wild, schließlich habe ich auf meinem 5,5 Std. dauernden Anschlussflug nach Irkutsk einen Gangplatz. Nach gut einer Stunde und zwanzig Minuten landen wir in Moskau-Domodedovo und ich muss nur aus dem Flugzeug spazieren, den Transit-Schildern folgen, einen Blick auf die Anzeigetafel der abgehenden Flüge werden und befinde mich nach wenigen Minuten an Gate 42, dort wo in knapp 50 Minuten das Boarding beginnen soll.

Überraschenderweise finde ich auch noch einen freien und gleichzeitig bequemen Sessel im Wartebereich des Gates. Somit komme entspannt sitzend in den Genuss des kostenlosen WLANs am Flughafen und checke erst mal meine Emails, habe dabei jedoch immer ein Auge auf das Gate, das vorerst geschlossen bleibt. Versunken in die Lektüre meiner Emails und der Onlineausgabe des Spiegels, schrecke ich auf, als ich feststelle, dass es bereits 23 Uhr ist und mir im selben Moment auffällt, dass unsere Abflugzeit 22:30 Uhr war. Anscheinend scheint mein Flug verschoben worden zu sein. Leicht nervös springe ich gazellengleich aus meinem Sessel und in Richtung Anzeigetafel des Gates. Dort ist kein Flug nach Irkutsk mehr zu sehen. Komisch. Also schnell jemanden suchen, der des englischen mächtig und gewillt ist, mir Auskunft zu geben. Während es ziemlich einfach wäre, jemanden zu finden der auskunftswillig ist, stellt sich die Suche nach englischsprachigen Menschen in kurzer Zeit als ein nur schwer lösbares Problem heraus. Lediglich eine junge Dame, die mir eigentlich eine Citibank Kreditkarte angedeihen möchte, was ich jedoch dankend und mit Hinweis auf meine bereits vorhandenen Kreditkarten konkurrierender Kreditinstitute ablehne, ist des Englischen mächtig, was mich veranlasst, sie um Hilfe zu bitten. In wenigen Sekunden hat sie sich einen Überblick verschafft und teilt mir betroffen mit, dass mein Flieger – übrigens mitsamt meines Rucksacks – sich schon in der Luft befinde und ich nun umdisponieren müsse. Das könne ich aber bei der Repräsentanz von S7-Airlines, so heißt die Gesellschaft, bei der ich mein Ticket buchte, problemlos und vor Ort im Flughafen tun. Auf meine vorsichtige Frage, ob man denn dort Englisch spreche, erwidert sie überzeugt, dass das ja wohl selbstverständlich sei, schließlich sei das eine Airline und wir befänden uns in einem Flughafen.

Gut, das war so nicht geplant und wirklich glücklich bin ich mit der Situation auch nicht, aber zumindest weiß ich, das S7 eine neue, moderne Airline ist, die im One-World-Verbund – einer Kooperation einiger bekannter Airlines – agiert und die Partnerschaften mit Airlines wie Lufthansa, El Al und Air Emirates unterhält, was darauf schließen lässt, dass wir vermutlich eine zeitnahe und zufriedenstellende Lösung finden würden. Ich begebe mich aus der Sicherheitszone hinaus und sehe auch gleich eine schalterähnliche Installation im S7-Design, besetzt mit zwei arbeitenden Damen im mittleren Alter und einem etwas jüngeren Mann mit Hemd und Krawatte, der schwerst damit beschäftigt ist, den beiden Damen abwechselnd über die Schulter zu schauen und eine kontrollierende Funktion inne hat, oder, was wahrscheinlicher ist, sich in diese erhoben hat. Nur keinen Kundenkontakt lautet seine Devise und da beide Damen beschäftigt sind, weiß er stets meinem freundlich und dezent suchenden Blick auszuweichen. Als eine der beiden Damen frei wird, nutze ich meine Chance und eröffne die Unterhaltung mit einem „Gawaritje pa angliski?“ (Sprechen Sie Englisch?). Aus der Unterhaltung wird jedoch nichts, da die Gute lediglich ein Kopfschütteln erwidert und mit dem Daumen hinter sich auf die dort sitzende Kollegin weist. Na gut, die Chancen standen 50:50, dann klappt’s halt jetzt. Geduldig reihe ich mich in die Schlange der Wartenden ein und als ich an der Reihe bin wähle ich die gleiche Eröffnung. Zu meiner starken Verwunderung bekomme ich auch die gleiche Reaktion, so dass ich ein hoffnungsvolles „pa njemetzki?“ (Deutsch?), welches abermals mit der nun schon bekannten Geste beantwortet wird. Okay, ich ziehe meinen Joker in Form meines nun recht nutzlosen Boardingpasses aus dem Ärmel – ehrlich gesagt eher aus der Tasche – und überreiche ihr diesen. Nach einem kurzen prüfenden Blick auf das Dokument, zeigt die gute Frau in Richtung Fenster in den nächtlichen Himmel. Irgendwo dort soll sich wohl mein Flieger befinden. Ich nicke verständnisvoll, da mit diese Tatsache bereit vollumfänglich bekannt ist. Daraufhin weist ihre Hand in Richtung Flughafenausgang, was ich vorerst fehlinterpretiere und als Aufforderung verstehe, den Flughafen zu verlassen. Dieser möchte ich eigentlich nur ungern Folge leisten, was mich veranlasst einen zweiten gründlicheren Blick in die Richtung zu werfen. Nun entdecke ich dort einen weiteren S7-Schalter, auf den ich deute, woraufhin ich ein zustimmendes Nicken bei meinem Gegenüber ernte, das erste bist dato.

Steten Schrittes bewege ich mich auf den zweiten Schalter zu, freudig zur Kenntnis nehmend, dass dort vorwiegend junge Menschen arbeiten. Hier versteckt S7 also ihr multilinguales engagiertes Personal. Hätte ich das nur gleich gewusst. Ich probiere es bei einer jungen Dame wieder mit meiner bewährten Frage, und siehe da – wieder ein Kopfschütteln. Warum auch sollte in einem Flughafen an einem Service- und Ticketschalter jemand Englisch sprechen, schließlich sind wir ja nicht in England. Also zücke und überreiche ich wieder meinen Boardingpass und stammele was von „Baggasch da, ja njet“ (Gepäck ja, ich nicht) und deute dabei auf den Pass. Nun nickt sie und beginnt auf ihrer Tastatur zu tippen. Nach einigen Momenten gibt sie auf ihrem Taschenrechner eine „1330“ ein, die sie mir zusammen mit einem russischen „Morgen“ präsentiert, gefolgt von einer „2290“ und „Rublej“. Ich schlussfolgere messerscharf, dass ich am Folgetag um 13:30 Uhr für eine Umbuchungsgebühr von ca. 2300 Rubel fliegen könne. Da es im Moment 23:30 Uhr ist erscheint mir die Zeit bis zum Flug etwas lang und ich frage daher auch Englisch nach, ob es tatsächlich der nächste Flug sei und ob es bei anderen Gesellschaften womöglich früher ginge. Sie wendet sich hilfesuchend an Ihre Kollegin, die anscheinend ein paar Brocken Englisch versteht, mir aber auf Russisch antwortet. Ja es sei der nächste Flug bei S7 und bei einer anderen Gesellschaft ginge es „schon“ um 11:30 Uhr, würde dann aber ungefähr 12.000 Rubel (ca. 300€) kosten, was ich dankend ablehne, da die Kosten klar definiert, der Mehrnutzen jedoch quasi nicht existiert. Schließlich buche ich um und fange an mich mit der Idee eines nun noch knapp 13,5 stündigen Aufenthalts in Moskau anzufreunden. Zumindest kann ich schon einchecken und auf die Frage, wo sich denn dann mein Gepäck befinden würde, erhalte ich die Antwort: In Irkutsk. Ich stelle anerkennend fest, dass sie zumindest das im Griff haben.

Was also tun in den nächsten Stunden? Ich erinnere mich an das kostenfreie WLAN und verkünde meine Situation erst mal in einem einschlägig bekannten sozialen Netzwerk. Wirklich müde bin ich zwar noch nicht, dennoch streife ich auf der Suche nach einem bequemen und warmen Platz durch die Wartehalle, in der anscheinend alles belegt ist. Letztendlich lande ich in einer Cafeteria, wobei sich mein Platz auch noch in unmittelbarer Reichweite einer frei zugänglichen Steckdose befindet. Ich ordere noch eine Cola light – 0,25l für schmale 2,75€ – und beginne die Zeit sinnvoll zu nutzen, indem ich an meinem Blogeintrag über St. Petersburg arbeite. An dieser Stelle sei kurz angemerkt, dass das Verhältnis benötigter Zeit für das Erstellen zu benötigter Zeit für das Lesen keinesfalls bei 1:1 liegt. Aber immerhin habe ich Spaß dabei.

Kurz nach Sonnenaufgang bleiben immer noch 6,5 Std. bis zum Abflug, die ich mit Psytrance, Dösen in der wärmenden Sonne, Toilettengängen und Umherstreifen im Flughafen verbringe. Wie der ein oder andere Leser vielleicht nachvollziehen kann, begab ich mich überpünktlich (1,5 Std. vor Abflug) zum SecurityCheck. Same procedure as always: alles aus den Taschen, Schuhe ausziehen, Gürtel abnehmen und mitsamt Handgepäck auf das Laufband. Jedoch der danach erwartete Metalldetektor blieb aus. Stattdessen steht dort eine Art Luftschleuse, die jedoch zwei offene Ein- bzw. Ausgänge besitzt, auf Kommando betreten und verlassen werden muss und um die sich nach dem Betreten und Heben der Arme zwei magnetarmähnliche Sensoren bewegen. Was immer es auch ist, ein Umgehen ist nicht möglich. Gezwungenermaßen betrete ich die Glocke, vergesse jedoch das Arme heben, woran ich umgehend durch ein überdurchschnittlich lautes Gebrüll auf Russisch, welches aus einem in der Glocke befindlichen Lautsprecher schallt, erinnert werde. Und da mein Russisch eher nur spärlich ist, braucht es auch eine zweite Erinnerung und einen hilfesuchenden Blick meinerseits Richtung Sicherheitspersonal, bevor ich verstehe. Ein kurzes Summen und Kreisen der Sensoren und das war’s. Aber neugierig bin ich schon, was dort gerade mit mir geschehen ist und so werfe ich einen heimlichen Blick auf den eigentlich gut abgeschirmten Monitor, hinter dem eine junge Frau sitzt, die das Gerät bedient. Und siehe da, was zeichnet sich auf ihrem Bildschirm ab? Es sind die Silhouetten der in der Glocke stehenden Personen, das Gerät ist also ein sogenannter Nacktscanner. Ich wurde „nacktgescanned“?! Kurz schießt mir der Gedanke durch den Kopf, ob ich nach einem Bild von mir frage, den ich aber angesichts der offensichtlichen Humorlosigkeit der öffentlich Bediensteten vor Ort gleich wieder verwerfe.

Da noch reichlich Zeit bis zum Boarding ist, schlendere ich gemütlich Richtung Gate, verzichte darauf mir für 300€ Champagner zu kaufen und lasse mich wiederum in einem der bequemen Sessel nieder, diesmal jedoch fest entschlossen, am Boarding teilzunehmen.

Aufmerksam beobachte ich meine Umgebung und lausche den Ansagen, welche in Russisch und Englisch durchgegeben werden, um auch jede Unregelmäßigkeit im geplanten Ablauf zu registrieren. Und siehe da, just zwei Minuten vor Beginn des geplanten Boarding, ertönt die Ansage, dass kurzfristig eine Änderung des Gates für meinen Flug stattfinde. Ja sollte das denn möglich sein, dass dies am Abend zu vor auch geschehen war? Zumindest würde es erklären, dass das Gate geschlossen blieb, der Flug aber dennoch startete. Ich werde es wohl nie erfahren.

Ich finde mich am neuen Gate ein und nach kurzer Zeit öffnet sich auf dieses, so dass ich den Bus besteige, der mich zum Flieger bringt. Irkutsk halt dich fest, ich bin so gut wie da…

still 12 hours to go..

still 12 hours to go..

About Steffen

Born in 1980 in good old Magdeburg in the GDR (German Democratic Republic). Stayed there for a while, than went to Cuba for a few months. Afterwards finished my studies of business and computer science and started to work in a big consultant enterprise. Quit this job for obvious reasons. Due to the lack of goodwill at the ZVS I started to work as a freelancer in the sector of SAP consulting in Cologne. Planned to do this only for a few months, now nearly passed by two years. Well, time to move on...
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One Response to 2. Etappe St. Petersburg – Irkutsk

  1. Stefan says:

    Morgen Steffen,
    na das fängt ja gut an, ein Klasiker sozusagen. 🙂
    werde noch bis Dienstag aufmerksam dabei sein, danach bin ich drei Wochen in den Staaten, da werde ich wohl nur sporadisch zum lesen kommen.

    Fetten Gruß
    Stefan

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