Irkustk & Olkhon und mein Weg nach UB

Aufgrund der Zeitverschiebung von weiteren fünf Stunden ist die geplante Ankunftszeit in Irkutsk 23:55 Uhr. Und tatsächlich setzt der Flieger auch pünktlich zum Landeanflug an, so dass wir uns gegen 23:45 Uhr wieder auf dem Boden befinden, nicht jedoch  ohne dass ausgiebig geklatscht worden wäre. Dabei ist mir nicht klar warum. Es klatscht doch auch niemand, wenn der ICE seinen Endbahnhof erreicht?! Egal. Was ist schon deutsche Pünktlichkeit gegen die Zuverlässigkeit der S7-Airline. In Gedanken male ich mir schon aus, wie ich meinen Rucksack am Gepäckschalter abholen, anschließend in ein Taxi steigen, zum Hostel fahren und erschöpft in einem Bett versinken und tief und fest schlafen werde.

Als wir endlich zum Stehen kommen, gibt es eine Durchsage auf Russisch, das englischsprachige Pendant vermisse ich jedoch. Daraufhin verharren alle Passagiere in ihren Sitzen. Scheinbar läuft das hier anders ab und ich beobachte interessiert das Geschehen. Nach 10 Minuten kann ich durch das Fenster des Flugzeugs sehen, wie sich ein Tankwagen und ein Feuerwehrfahrzeug nähern. Unter direkter Beobachtung eines Feuerwehrmanns, der direkt hinter seiner Löschkanone postiert ist, beginnt die Betankung des Fliegers. Dies wundert mich, kenne ich das Prozedere doch so, dass erst die Passagiere das Flugzeug verlassen und dann die Vorbereitungen für den nächsten Flug getroffen werden. Die Betankung ist abgeschlossen, Tankwagen und Feuerwehr verschwunden und nichts passiert. Für weitere 30 Minuten. Flugbegleiter sind nicht in Sicht. Als dennoch eine überraschend an mir vorbei huscht, nutze ich die Gunst der Stunde und frage sie, wann wir denn aussteigen könnten. Auf diesem Flughafen gar nicht, ist ihre Antwort, denn wir befänden uns in einer anderen Stadt und hätten zwischenlanden müssen, da der direkte Anflug auf Irkutsk nicht möglich gewesen wäre. Aber in 10-20 Minuten würde es weitergehen und dann wären es auch nur noch 40 Flugminuten bis Irkutsk. In der Tat starten wir nach ca. 15 Minuten und 45 Minuten später landen wir – diesmal tatsächlich – in Irkutsk. Es ist 2:00 Uhr Ortszeit.

Also nichts wie ab zum Gepäckschalter, wo mein Rucksack schon auf mich warten wird. Doch diesen zu finden gestaltet sich schon schwieriger als erwartet. In Irkutsk sind nach mal mehr die Schilder bilingual. Diese kleine Hürde nehme ich jedoch mit Leichtigkeit und leite mein Anliegen – wie üblich – mit der Frage nach Fremdsprachenkenntnissen ein, um mir – wie üblich – ein Kopfschütteln abzuholen. Also beginne ich mit Händen und Füßen, unterlegt durch ein paar russische Vokabeln die Problematik zu schildern. Und immerhin bin ich im Besitz der Gepäckquittung. Da diese einen Barcode enthält, muss sich nur jemand finden, der diesen scannt und mir dann lächeln mein Gepäck aushändigt. Weit gefehlt. Die Quittung wird betrachtet und es wird festgestellt, dass diese ja für einen Flug von gestern sei. Als hätte ich nicht ausgiebigst versucht dies zu vermitteln. Ein Barcodescanner scheint nicht zu existieren und anscheinend weiß auch niemand so recht, was denn mein Problem ist. Bis auf einmal, entgegen jeder Erwartung und Wahrscheinlichkeit, in Form einer schwebenden Lichtgestalt…nun ja nicht ganz. Jedenfalls bis auf einmal ein Kollege der beiden russischen Gepäckwächter die Szenerie betritt, der fließend Englisch spricht. Ich müsse zum Büro der S7-Airline und dort werde man mir helfen und wissen, wo mein Rucksack sei. Das heißt, einmal raus aus dem Nationalen Terminal, hinüberlaufen zum 200m entfernten internationalen Terminal, kurzer Securitycheck und schon stehe ich im Büro des Managers von S7. Es dauert eine Weile, bis ich mein Problem geschildert und auch verstanden ist. Dann geht alles ganz schnell. Der hilfsbereite und engagierte Manager nimmt den Hörer seines Telefons und ruft nacheinander bei der Gepäckabteilung in Irkutsk, Moskau und St. Petersburg an. In Irkutsk und Moskau erhält er die Auskunft, dass zu meinem Beleg kein Gepäckstück vorhanden sei, in St. Petersburg erreicht er niemanden. Vermutlich veranlasst ihn das zu der Schlussfolgerung, dass sich mein Rucksack in St. Petersburg befinde, was er mir umgehend mitteilt und auch detailliert begründet. Leider kann ich seine Begründung an dieser Stelle, bedingt durch Sprachbarrieren, nicht im Einzelnen wiedergeben. Kurz und gut, ich solle am Morgen gegen 11 Uhr noch mal anrufen dann wisse man mehr. Mit diesen Worten entlässt er mich in die Nacht.

Da es mittlerweile 3:00 Uhr ist, begebe ich mich auf direktem Weg zum Taxistand. Der Taxifahrer kann mit der Adresse, die ich ihm mitteile nichts anfangen und so blättert er zunächst –oldschool like – in seinem Stadtplan. Da ich Irkutsk wie meine Westentasche kenne, finde ich besagte Straße vor ihm und deute mit meinem Zeigefinger darauf, was ihn aber nicht veranlasst, seinen Suchvorgang abzubrechen. Als ich meine Geste mit einem bestimmten „Sdjehs!“ (Hier) untermale, scheint ihm bewusst zu werden, wieso sich mein Finger auf seiner Karte befindet und fährt los. Da sich Lenkrad etc. auf der rechten Seite befinden, frage ich ihn, ob es ein englisches Auto ist. Dies verneint er und sagt, es sei japanisch. Mir ist nicht klar, ob sich das lediglich auf die Marke, oder die tatsächliche Herkunft bezieht. Beschaulich geht es über die welligen Straßen von Irkutsk, an deren Straßenrändern sich eine illustre Mischung von Gebäuden befindet. Wohnblocks, alte Fabrikgebäude und Holzhäuschen – alt und neu, teilweise noch im Bau befindlich – wechseln sich ab. Als wir nach kurzer Fahrt am Ziel ankommen, beginnt die nächste Herausforderung: Finde die Hausnummer. Da sich diese auf der Rückseite des Gebäudes befindet, vergehen 10 Minuten, bis ich sie entdecke und dem Taxifahrer eine gute Nacht wünsche.

Der Zugang zu meinem Domizil wird durch eine wenig einladende zweiflügelige Metalltür verwehrt. Da mein Klingeln keine Reaktion im Innern auslöst, ich aber den Zugangscode kenne, gelange ich problemlos in den Hausflur des Mehrfamilienhauses und stehe vor einer Wohnungstür, auf der „Please knock the door“ steht. Der Aufforderung folge ich gerne, in der Hoffnung, nun in wenigen Minuten im Bett zu liegen und meinen wohlverdienten Schlaf zu finden. Jedoch regt sich nichts. Es könnte daran liegen, dass es mittlerweile halb vier ist, ich meine Ankunft jedoch gegen 1:00 Uhr angekündigt habe. Also klopfe ich erneut, diesmal mit etwas mehr Nachdruck. Nichts passiert. Passt irgendwie in die Folge der bisherigen Ereignisse. Somit sitze ich ohne meine Sachen um 3:30 Uhr in einem Hausflur in Irkutsk und starre auf eine Metalltür, hinter der sich so etwas wie ein kleines Paradies befindet. Ich rutsche etwas hin und her auf meiner Treppenstufe und versuche es mir dort „bequem“ und „gemütlich“ zu machen, als…als ich Geräusche hinter der besagten Tür höre und einen Lichtschein wahrnehme, der durch den Spion fällt. Voller frischen Mutes klopfe ich erneut und die Tür öffnet sich. Vor mir steht ein kleiner verschlafener Russe, der mich mit den Worten „I’m Dimitry. Come in!“ begrüßt. Wäre ich nicht so müde, würde ich ihm glatt um den Hals fallen. Kurz erklärt er mir, dass er gewusst hätte, dass es Probleme mit den Fliegern gab und mich verspätet erwartet hätte, aber versehentlich eingeschlafen sei. Da alle anderen im Dorm schon schlafen würden, würde er mir ein Bett im Doppelzimmer geben, welches noch frei sei. Ich danke und danke und danke ihm, gehe in mein Zimmer und falle ins Bett.

Am nächsten Morgen, nach üppigen sechs Stunden Schlaf genieße ich eine heiße Dusche und sehe mich etwas im Hostel um. Das Hostel wird auf hostelworld.com mit den Worten „Atmosphäre einer früheren typischen sowjetischen Wohnung“ beschrieben und dies ist in der Tat nicht gelogen. Aber es ist trotzdem irgendwie gemütlich. Mittlerweile ist auch Dimitry erwacht und ich bitte ihn um Hilfe bei der Suche nach meinem Rucksack. Mental stelle ich mich schon darauf ein, alles neu zu erwerben. Dimitry ruft unterdessen im Flughafen an, wo man überraschenderweise noch nicht die geringste Ahnung hat, wo sich mein Gepäck befindet, aber man werde innerhalb einer halben Stunde zurückrufen und mehr wissen. Die Zeit vergeht und vergeht und endlich klingelt Dimitrys Handy. Anhand seiner  Hm’s und Aha’s ist es mir nicht möglich, auf den Inhalt der Unterhaltung zu schließen. Als er jedoch aufgelegt hat und sich mir zuwendend sagt: „They found your bagpack here in Irkutsk and you can go there and pick it up.“, ist der zweite Moment gekommen, in dem ich ihm um den Hals fallen möchte. Mache ich diesmal mit Rücksicht auf unseren Gewichtsunterschied nicht, sondern begebe mich schnellstens zur Haltestelle von Trolleybus Nr. 4, steige ein, fahre zum Airport, zahle beim Aussteigen 12 Rubel, gehe ins Gebäude und schnurstracks auf den Gepäckschalter zu. Wie üblich kann zunächst keiner etwas mit mir anfangen, das kenne ich ja mittlerweile nun schon zur Genüge, aber zu guter Letzt wird mein Rucksack, von einem schützenden Plastesack umhüllt, durch die Tür gezogen. Von nun an soll uns nichts mehr so lange trennen, schwören wir uns bei unserem Wiedersehen.

Mit einem breiten Grinsen im Gesicht fahre ich im Trolleybus Nr. 4 vorbei an den grauen Wohnblocks, alten Fabriken und den schönen Holzhäusern, sowie einem Plakat, welches Thomas Anders in Irkutsk ankündigt, einem Panzer und einer Mig-29 zurück ins Hostel. Den Rest des Tages fülle ich mit einem Spaziergang zur und durch die Fußgängerzone von Irkutsk und dem Zentralen Markt. Auf dem Weg dorthin höre ich eine bekannte Melodie. Ja ist es denn möglich, hier mitten in der Fußgängerzone von Irkutsk, stehen ein paar Peruaner (?), pfeifen „El condor pasa“  auf Pan- & Blockflöte und verkaufen CDs. Ich muss innerlich lachen, über die ausgefeilte Vertriebsstrategie, die bis nach Sibirien reicht.

Der Zentrale Markt ist ein großer grauer Klotz, der jedoch umgeben ist von unzähligen kleinen Ständen, die hauptsächlich regionales Obst und Gemüse feilbieten. Hier finden sich sowohl professionelle Händler, als auch Kleinstbauern, die sich vermutlich durch die Früchte ihres Gartens ein wenig die Rente aufbessern wollen. Ich kaufe einem Großmütterchen für 80 Rubel fünf große und köstlich scheinende Tomaten (ca. 1kg) ab. Des Weiteren kaufe ich ein paar Äpfel, zwei Chilischoten und ein paar Bananen. Im Inneren ist der Zentrale Markt in zwei Hallen geteilt. In der einen wird hauptsächlich Fleisch, sowie etwas Fisch angeboten. Der aasige Geruch vertreibt mich schnell aus diesem Bereich und ich erkunde die zweite Halle. Dort gibt es Brot, Milchprodukte und Gemischtwaren. Ich lasse mir etwas Käse und Butter in Plastetüten – anscheinend das Verpackungsmaterial der Wahl – füllen, erwerbe Brot und Wasser und ein paar gefüllte Piroschki (Teigtaschen). Mit meiner Beute begebe ich mich auf den Heimweg. Dort angekommen organisiere ich die Weiterreise auf die 300km entfernte Insel Olchon am nächsten Morgen, d.h. eigentlich macht Dimitry dass, in dem er die entsprechenden Telefonate führt, bevor ich mich ausgiebig den erworbenen Nahrungsmitteln widme. Da die Abreise zur Insel um 7:40 Uhr geplant ist, endet der Abend früh.

In der Tat ist der Minibus, der mich zur Insel bringen soll am folgenden Morgen bereits um 7:38 Uhr, so dass ich die letzten Bissen meines Frühstücks hinunterschlingend hinauseile und in den Wagen steige. Am nächsten Hostel sammeln wir noch weitere vier Bagpacker ein, bevor der Minibus direkt neben dem Zentralen Markt hält, bis um 9:00 Uhr wartet, um weitere Fahrgäste aufzunehmen und wir wenige Minuten später Richtung Olchon aufbrechen. Sechs Stunden sind für die Fahrt veranschlagt, doch unser Fahrer hat anscheinend die Absicht die Strecke in der Hälft der Zeit zurückzulegen, denn bereits von Anfang an nutzt er jede sich bietende Chance, um vorausfahrende Fahrzeuge zu überholen. Nach der geschätzten Hälfte der Strecke endet die asphaltierte Straße und es geht weiter auf einem buckelpistenähnlichen Weg, ohne jegliche Geschwindigkeitsreduktion. Dieser teilt sich irgendwann auf mehrere „Spuren“, so dass man den Eindruck gewinnt, es würde mehrere parallele Straßen geben, die auch befahren werden. Während anfangs noch Birken- und Kiefernwäldchen die Straße säumten, so wird die Vegetation langsam spärlicher und geht in eine steppenartige Landschaft über. Als wir die Anlegestelle der Fähre erreichen, befindet sich diese gerade 10m entfernt vom Anleger, mit Fahrtrichtung Insel. Circa 30 Minuten später befinden wir uns samt Minibus auf der Fähre und erreichen nach weiteren 15 Minuten Olchon. Das Ziel der Fahrt ist das Dörfchen Chuschir, gelegen in der ca. 80km langen Insel. An der Qualität der Straße hat sich nichts geändert und wir fahren – mitunter hüpfend – hügelauf und -ab über die spärlich besiedelte Insel. Im Dörfchen halten wir gegen 16:00 Uhr bei Nikita’s Homestead, einem Camp aus hellen Holzhäuschen, die mit geschnitzten Holzdekorationen verziert sind. Das Wasser kommt direkt aus dem Beikal, Toiletten liegen außerhalb der Häuschen, ebenso die Duschen, die mit kaltem Wasser aus über ihnen liegenden Tanks gespeist werden. Schluckbeschwerden und gerötete Mandeln zeigen mir eine kommende Erkältung an, was mich dazu bewegt, nach dem Einchecken erst mal ein Nickerchen bis zum Abendbrot zu machen. Die Essenszeiten fügen sich hervorragend in meinen Biorhythmus ein: Frühstück von 9-11 Uhr, Mittag von 13-15 Uhr, Abendbrot von 19-21 Uhr. So etwas kenne ich leider nicht aus Deutschland.

Nach dem Abendbrot setze ich mich vor das Cafe in Hörweite der gerade stattfindenden „Meditations- und Trancemusik“  Performance, als Andrew und Cameron (zwei Kanadier, die ich im Minibus kennenlernte) in Begleitung eines Pärchens (Natalie und Chris, Briten) vorbeikommen. Kurz entschlossen entscheiden wir die Bar in der Ortsmitte aufzusuchen. Dort angekommen, werden etliche der vorrätigen Biersorten getestet, wobei ich mich aufgrund der Erkältung stark zurückhalte und nur aus Höflichkeit noch ein, zwei Wodka mittrinke. Wie sich im Laufe des Abends herausstellt, arbeiten Chris und Natalie bei Accenture, einer Unternehmensberatung, die dem ein, oder anderen aus meinem näheren Umfeld bekannt sein sollte, und haben sich gerade 8-10 Monate Auszeit genommen. Das hat die Branche anscheinend so an sich.

Der nächste Tag bringt grauen Himmel und Regen. Kombiniert mit meiner Erkältung ist das kein besonderer Grund für mich das Bett zu verlassen. Immerhin begebe ich mich zum Frühstück, wo mich Porridge (Brei), Blini (Pfannkuchen) und Spiegelei erwarten. Wie sich in den folgenden Tagen herausstellt, ist dies das Standardfrühstück, lediglich die Grundlage des Breis ändert sich ab und an. Gut gesättigt eile ich zurück ins Bett, um die Zeit bis zum Mittag dort schlafend und regenerierend zu verbringen. Kaum bin ich eingeschlafen, pocht es laut gegen die Tür. Ein wild gestikulierende Alte steht im Flur, die auf Russisch auf mich einredet: Nje panimaju! (Ich verstehe nicht.) Schließlich bringt sie die auch für mich verständlichen Worte „Irkutsk“ und „Nach Haus“ heraus. Nein, ich möchte nicht nach Irkutsk und auch nicht nach Hause, schließlich bin ich doch erst gestern angereist. Und schon gar nicht ist Irkutsk mein zu Hause. Sie zieht von dannen, ich begebe mich wieder in mein noch warmes Bett und schlummere ein. Eine gute Stunde später wiederholt sich das Schauspiel. Wobei ich es diesmal abkürze und gleich mit „Njet! Nejt Irkutsk!“ in die Unterhaltung einsteige. Es steht 2:0 für mich und dies soll auch der Endstand sein. Da es nun mittlerweile fast Zeit für die nächste Mahlzeit ist, begebe ich mich in die Kantine, wo ich Andrew treffe. Cameron kuriert noch seinen Kater aus. Es gibt Reis und/oder Buchweizen, etwas Gemüse in Tomatensoße und Omul, den Fisch, der nur in den Tiefen des Beikals lebt. Auch dieses Essen wird sich in seinen Komponenten leicht variierend in den nächsten Tagen wiederholen. Es ist gut und macht satt, wahrscheinlich auch gesund, aber daheim würde ich es mir vermutlich nicht zubereiten. Beim Essen gesellen sich noch Chris und Natalie zu uns, die den Vormittag nutzten, um eine russische Banja, direkt an den Ufern des Beikals zu besuchen. Somit steht unser Plan für den Nachmittag fest.

Samt Cameron machen wir uns auf den Weg zur Banja, in Form eines kleinen Häuschens auf einem Anhänger, der direkt 2,5 m vom Wasser am Strand steht. Vorerst müssen wir uns noch in Geduld üben, da nur fünf Personen gleichzeitig in die Banja dürfen, diese aber bereits mit vier Leuten belegt ist. Macht nichts, ganz im Gegenteil, es steigert nur die Vorfreude. Als wir schließlich dran sind, bekommen wir noch ein Büschel frischer Birkenzweige. Mit diesen schlägt man sich selbst, oder gegenseitig, während man schwitzt, was zum einen die Durchblutung fördert, zum anderen einen birkigen Duft verbreitet und obendrein sollen sich auch noch gesundheitsfördernde Stoffe lösen. In dem kleinen Kämmerchen befindet sich ein Metallofen, der von außen befeuert wird und der ein kleines Becken mit Wasser enthält, welches konstant kocht und verdampft. Zur Abkühlung geht es direkt in den Beikalsee. Ein unglaubliches Erlebnis. Nach drei Gängen sind wir erholt, entspannt und erfrischt und machen uns wieder auf den Rückweg. Der Abend wird mit Monopoly gestaltet.

Am Montag kommt schließlich wieder sommerliches Gefühl auf, bedingt durch einen strahlend blauen Himmel und strahlenden Sonnenschein. Dies verleitet uns zu einer Radtour. Direkt neben unserem Camp befindet sich ein Verleih, der auf unsere Frage nach dem Preis, stolze 500 Rubel pro Tag veranschlagt und uns dabei mitteilt, dass das bereits der günstige Nebensaisonpreis wäre. Was er nicht weiß, wir wissen, dass man im Ort vergleichbare Räder für 270 Rubel bekommt, welche wir aus offensichtlichen Gründen auch leihen. Zur Auswahl stehen zwei Routen. Entweder radeln zum spektakulären Waldsee, der nur ca. 20 km entfernt ist, für die man jedoch 4 Stunden benötigt, oder wir fahren zu einem kleinen süßen Dörfchen, was nur 12 km entfernt ist, zu welchem es jedoch keine Zeitangabe gibt. Da wir alles Hobbyradler sind wählen wir die einfachere Alternative. Doch so einfach wie es sich anhörte war es dann doch nicht. Vielleicht habe ich bereits die hügelige Landschaft der Insel erwähnt, welche nun spür- und erlebbar wurde. Nach anderthalb Stunden und leicht außer Atem, sowie durchgeschwitzt erreichen wir das Dörfchen, in dessen Nähe sich ein wunderschöner, langer Sandstrand befindet, welchen für ein ausgiebiges Picknick, inklusive Sonnenbaden nutzen. Während des Rückwegs überlege ich mir noch, beim nächsten Mal etwas Motorisiertes zu leihen.

Dienstag verlassen mich Andrew und Cameron, mit denen ich herzlich und viel lachte, so dass ich nun wieder etwas Zeit habe mich zu regenerieren. Die Radtour war für meinen durch die Erkältung geschwächten Körper doch anstrengender als erwartet und das Wetter bietet auch keinen Anlass für irgendwelche Unternehmungen. Zudem habe ich einen Mitbewohner in meinem kleinen Reich bekommen. Andreas aus der Nähe von München liegt in meinem Zimmer, geplagt von Brechdurchfall und leichtem Fieber. Eingefangen hat er sich seiner Meinung nach durch den Verzehr eines geschenkten Stück Käses, als er mit einem Pärchen am nördlichen Kap der Insel zeltete. Ich nehme dies zur Kenntnis und beschließe käsige Geschenke zukünftig strikt abzulehnen. Zum Glück hat er in dem russischen „Hospital“, nachdem er die Frage, ob er denn Geld habe bejahte, eine Art Zauberpulver bekommen, was zumindest die Frequenz der Toilettengänge stark reduziert. Er kombiniert dies noch mit einer Cola-Kamillen-Schwarzteemischung und so geht es ihm nach einer Nacht voller erholsamen Schlafes am nächsten sonnigen Morgen schon wesentlich besser. Mit mittlerweile auch, nur der Schnupfen will nicht wirklich verschwinden. Ich unternehme einen ausgedehnten Spaziergang am Rande des Beikalsees und tanke etwas Sonne, bevor auch dieser Tag zu Ende geht.
Mittlerweile haben wir den 01.09.2011 und da mein russisches Visum nur bis zum 02.09. gültig ist, reise ich zurück nach Irkutsk. Andreas kommt mit und so sitzen wir kurz nach 10 Uhr gemeinsam im Minibus, wobei ich glücklicherweise einen Platz erwische, der mit dem Rücken zur Fahrtrichtung zeigt, was mich in Kombination mit Straßenverhältnissen und Fahrweise dazu zwingt, konstant gegen einen Brechreiz anzukämpfen. In Irkutsk habe ich einige Stunden Aufenthalt, die ich mit Nahrungssuche und einem Besuch im Supermarkt verbringe. Die Straßen sind voll junger Menschen, überall spielt Musik und Kinder tragen festliche Kleidung, die kleinen Mädchen haben meist weiße Schleifen im Haar. Grund für das ganze Spektakel ist der 1. September, Schulanfang, der Russland ausgiebig zelebriert wird. Wenn ich mich recht erinnere, ist bei uns eher das Ende der Schulzeit Grund zum Feiern. Alles eine Frage der Perspektive.

Bevor ich zur Insel aufbrach, bat ich noch Dimitry, mein E-Ticket für den Zug von Irkutsk nach Ulan Ude auszudrucken, so dass ich dies nun freudig in Empfang nehme und mich gegen 21.00 Uhr auf den Weg zum Bahnhof mache, da mein Zug um 22:15 Uhr abfahren soll. Dank umfangreicher Informationen über das russische Fahrkarten- und Bahnsystem weiß ich, dass ich das E-Ticket nur noch an einem Automaten, oder einem Schalter in ein reguläres Ticket tauschen muss, aber das dürfte ja kein Problem sein. Als ich gegen 21:30 Uhr den Bahnhof erreiche, stelle ich verwundert fest, dass es scheinbar keine dieser Automaten gibt. Halb so wild, schließlich sind noch mehrere Schalter geöffnet. Am ersten werde ich abge- und an einen anderen verwiesen, mit dem Hinweis, dass das E-Ticket aber auch eine gültige Fahrkarte sei. Sicherheitshalber gehe ich zu dem anderen Schalter und versuche dort mein Glück. Welches Glück, frage ich mich, als ich erfahre, dass der Umtausch mindestens eine Stunde vor Abfahrt des Zuges geschehen muss. Aber auch diese Dame erklärt mir, dass es das E-Ticket ein vollwertiges Ticket ist. Leider sehen das die Damen, welche die Tür zu meinem Waggon bewachen anders und verwehren mir den Zugang. Das müsse man erst mit der Chefin klären, die sei aber gerade telefonisch und auch anderweitig nicht erreichbar. Ein junger Russe, der das Spektakel mitbekomme, eilt mir zur Hilfe und erklärt dem Bahnpersonal die Begrifflichkeit „E-Ticket“. Ein Ticket sei ein Ticket und ob nun E- oder ganz normal, sei nebensächlich. Das ist zumindest das, was ich mitbekomme, seine weitere Argumentation verstehe ich nicht. Jedenfalls kann er die Bahnbegleiter dazu bewegen, mich in meinen Waggon zu lassen. Nun heißt es, den Platz finden und gemütlich machen. Nebenan betrinken sich noch ein paar junge Russen, aber bei mir es leer und ruhig, was mich auch ganz recht ist.

Planmäßig soll der Zug gegen 6:20 Uhr Ulan Ude erreichen, wo um 7:30 Uhr mein Bus nach Ulan Bator startet. Aber was bedeutet schon planmäßig in den sibirischen Weiten. Mit 40 Minuten Verspätung erreichen wir Ulan Ude am 2. September, was mich dazu veranlasst mit erhöhter Geschwindigkeit nach dem Abfahrtsort meines Busses zu suchen, um nicht russischen Grenzbeamten erklären zu müssen, wieso ich mit einem abgelaufenen Visum ausreisen wolle. Klappt auch ganz gut, im Vorbeigehen mache ich noch einen Schnappschuss vom weltweit größten Leninkopf und bin 7:20 Uhr am Bus. Perfekt.

Die Fahrt zur mongolischen Grenze ist geprägt von Schlaf, weiten endlosen Landschaften, mit Birken- und Kiefernwäldern. Wirklich viel bekomme ich nicht mit, da ich die meiste Zeit schlafe. An der Grenzstation heißt es dann, aussteigen, Gepäck nehmen, zur Zollkontrolle, zur Passkontrolle, Gepäck einladen, rein in den Bus, zur mongolischen Seite fahren, wieder aussteigen, Gepäck nehmen, zur Zollkontrolle, zur Passkontrolle, Gepäck einladen und rein in den Bus. Was so klingt, als wäre es zweimal ein identisches Prozedere unterscheidet sich im Wesentlichen darin, dass es auf der russischen Seite 90 und auf der mongolischen Seite 30 Minuten dauert.

Die Mittagspause im mongolischen Grenzort nutze ich dazu, mein russisches „französisches Baguette“, mit leichter Fettnote, zu verzehren und mein erstes mongolisches Geld aus dem Automaten zu ziehen. 200.000 Turuig, ca. 114 € hebe ich ab und komme mir schon etwas seltsam beim Eintippen dieser astronomischen Summe vor.

Sechs Stunden später, nach etlichen Kilometern durch unvergleichliche weite und grüne Hügellandschaft auf einer scheinbar unendlichen Straße, vorbei an, teilweise auf der Straße stehenden, Rinder-, Ziegen-, Schaafs- und Pferdeherden, Holz- und Steinhäuser, sowie Jurten passierend, tauchen vor uns eine Smogwolke und darunter verborgen Gebäude und Konstruktionen auf, die darauf schließen lassen, dass wir in Kürze Ulan Bator erreichen werden. Und siehe da, ein „Ortseingangsschild“ gibt mir Recht, wir sind fast an unserem Ziel, der mongolischen Hauptstadt angekommen.

Die Fahrtgeschwindigkeit verlangsamt sich nach dem Überqueren der Stadtgrenze drastisch, denn offenbar gibt es in Ulan Bator zu viele Autos für zu wenige Straßen. Dreckige, schmutzige Jurten und Häuser bilden den Stadtrand, ab und an sieht man Plattenbauten und schließlich ist „moderne“ Architektur erkennbar, die nur stellenweise durch traditionell mongolische Elemente unterbrochen wird. Als der Bus endlich hält, atme ich erleichtert durch, dieses Transportmittel nach ca. 10,5 Stunden verlassen zu können…

About Steffen

Born in 1980 in good old Magdeburg in the GDR (German Democratic Republic). Stayed there for a while, than went to Cuba for a few months. Afterwards finished my studies of business and computer science and started to work in a big consultant enterprise. Quit this job for obvious reasons. Due to the lack of goodwill at the ZVS I started to work as a freelancer in the sector of SAP consulting in Cologne. Planned to do this only for a few months, now nearly passed by two years. Well, time to move on...
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6 Responses to Irkustk & Olkhon und mein Weg nach UB

  1. mb says:

    krasser typ du,

    sehr schöne bilder.

    ich wünsch Dir noch viel Spaß !!!

    vg, Matze

  2. Ira says:

    Aha, ja hmm, jetzt wird mir klar, warum Du meintest, dass Flüge nicht das Wichtigste sind. Der gute alte Bus wird hier offensichtlich nicht richtig wertgeschätzt. Gut, dass Du mal ausgetestet hast, wozu so ein Gefährt gut ist. Da kann man noch einiges von Dir lernen!

    Schöne Fotos übrigens. Noch viel Spaß in der Mongolei.

    Liebe Grüße
    Ira

  3. david says:

    irre schöne bilder, steffen. was ist das denn für ne kamera, die du benutzt?

  4. tim says:

    Da denkt man ab und zu an dich, im Glauben, du würdest jetzt irgendwo in Köln oder so Medizin studieren – Russland, Sibirien, Ulan Bator, Peking?!?! WTF
    Habe heute Morgen deine ersten Texte derartig verschlungen, dass ich mir was aufgespart habe, damit ich morgen früh auch noch etwas davon übrig habe. Schreib doch mal ein Buch drüber. Deine Geschichte sollten viel mehr Leute lesen.
    BTW: Was hast’n für eine Kamera dabei?

    • Steffen says:

      Danke für Dein feedback Timmy! Derartiges motiviert mich weiter zu schreiben. Kennst Du einen Verleger, der Intreresse hat? 🙂 Die Kamera ist eine Panasonic Lumix TZ10, sowie Photoshop Lightroom 😉

      • tim says:

        Es gibt nicht wenige Menschen, die sich dazu entschließen, nach solchen “Trips” ein Buch darüber zu schreiben. Von Verlagen hab ich keinen Schimmer, aber falls du das auch mal tun solltest, werd ich es kaufen, mein Jung.
        Whatt??!Ne Lumix?Nää. Nicht übel!Da hast du ja schon mal die erste Hälfte des Buches auf der SD Karte, zimmerst dir aus den Blogs das dritte Viertel zusammen und das letzte schreibst du eben, wenn du Zeit dafür hast.
        Pass auf dich auf!
        PS: Bin seit Juni fertig in MD!!! 🙂 Danke. Setzen.

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