Ulan Bator und 18 Tage Mongolei

Mit mir steigen John aus England, den ich bereits auf Olkhon flüchtig kennenlernte, sowie Ramona und Rahel aus Deutschland aus dem Bus. Alle drei haben bereits eine Reservierung für ein Hostel, ich habe mich diesmal entscheiden, alles etwas spannender zu gestalten und auf eine Reservierung verzichtet, so dass ich freier bin in meinen Entscheidungen. Da die Mädels im gleichen Hostel reserviert haben, in dem auch Chris und Natalie am nächsten Tag ankommen wollen, entscheide ich mich, mitzukommen.  Johns Hostel ist ganz in der Nähe und so legen wir den größten Teils des Weges gemeinsam zurück.

Schließlich gelangen wir zu der Stelle, wo das Hostel sein sollte, nur ist nichts zu sehen. Geschickt befragen wir ein paar Mongolen, die mitunter hilfsbereit auf weit entfernte Bürotürme aus Stahl und Glas weisen. „Das ist es, das muss es sein!“ – „Aha..soso..jaja..danke!“ – Wir bleiben höflich. Ganz in der Nähe sind noch drei weitere Hostels, zu denen wir nacheinander geschickt werden und die auf unsere Nachfrage nach dem „richtigen“ Hostel immer in die gleiche Richtung weisen, wo wir bereits waren und nichts fanden. Schließlich, als wir uns gerade entschlossen haben, in einem anderen Hostel zu bleiben, findet sich jemand, der wissend und gewillt ist, uns zu dem besagten Hostel zu geleiten. Na bitte, Ende gut – alles gut. Zumindest für die Mädels, nicht jedoch für mich, da ich keine Reservierung habe und das Hostel voll ist, trage ich mein Gepäck wieder zurück und beziehe nun doch im vorherigen Hostel mein Bett. Halb so wild.

Auf der Suche nach Original Mongolischer Cuisine, lande ich schließlich in einem Pub, in welchem ich einen thailändischen Salat und original mongolische Lammspieße, mit Rosmarin-Knoblauchkartoffeln, sowie einen halben Liter Bier ordere. Es gibt wahrlich keinen Anlass zur Klage über Quanti- oder Qualität der Speisen, nur das Attribut „original mongolisch“ würde ich dem Ganzen nicht verleihen. Satt und zufrieden kehre ich zurück in mein Hostel und freue mich in einem Bett zu liegen und einschlafen zu können.

Der nächste Morgen beginnt mit einem Espresso und einem Tomaten-Käse-Panini im Cafe Amsterdam. Zusammen mit Sandra aus der Schweiz begebe ich mich anschließend in ein nahe gelegenes Hostel, welches auch Touren anbietet, um unsere Möglichkeiten auszuloten. Gern würden wir das „Golden Eagle Festival“ am 16.09.2011 tief im Westen der Mongolei  im Altai-Gebirge besuchen. Doch allein die Anreise würde mindestens sechs Tage konstantes Fahren erfordern und eine Kombination mit der Wüste Gobi, die wir unbedingt besuchen wollen, brächte eine Tour von insgesamt 28 Tagen zusammen. Bei ungefähr 30 € pro Tag, ein stolzer Preis und außerdem auch etwas zu lang für unseren Geschmack. Zusammen mit John einigen wir uns auf eine 18-tägige Tour durch die Zentralmongolei und zur Gobi. Für die ersten 11 Tage werden wir noch Bernadette aus Österreich mitnehmen, die Gobi schon gesehen hat und deren Visum auch vor dem geplanten Ende unserer Tour abläuft.

Um den Nachmittag nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, schlendere ich mit John zum Sukbathaar Platz, der sich direktim Herzen der Stadt vor dem Parlamentsgebäude befindet und auf welchem gerade eine mongolische Folkloregruppe ihr Können demonstriert. Wie schön ist es doch, am Rande des Platzes in der Sonne zu sitzen. Nach dem wir genug genossen haben, machen wir uns auf den Weg zum Kloster Gandan Khiid (Place of complete joy), welches direkt in Ulan Bator gelegen ist. Nach einem 25-minütigen Marsch entlang einiger belebter und verstopfter Straßen, der uns schließlich durch einige ärmlichere Gassen mit heruntergekommenen Häuschen und Jurten führt, gelangen wir zum Kloster. Während der kommunistischen Ära nahezu vollkommen zerstört, wird seit den frühen 90ern der Wiederaufbau forciert, was sich unter anderem in der ca. 5 Millionen $ wertvollen und über 25m hohen vergoldeten Buddhastatue, sowie einigen neueren Gebäuden widerspiegelt.

Sonntag der 4. September 2011 beginnt mit einem Treffen der potentiellen Tourteilnehmer in der Französischen Bäckerei. Es gibt tatsächlich Croissants zum Kaffee und wir beratschlagen noch einmal abschließend, ob wir die Tour buchen, oder nicht. Lange Rede, kurzer Sinn – ja wir sind dabei und teilen dies unserem TourOprator bis zur vereinbarten Deadline um 12 Uhr mit. Die Frage dieses, ob wir denn auch für kältere Gegenden ausgerüstet seien, müssen John und ich verneinen, was dazu führt, dass wir kurz nach Mittag im Bus Nr. 23 zum BlackMarket sitzen. BlackMarket stammt noch aus der Zeit der sowjetischen Besatzung, als privater Handel illegal war. Die Rahmenbedingungen haben sich geändert, der Name bleibt. Uns erwartet ein einzigartiges Angebot aus gefälschter Markenkleidung chinesischen Ursprungs. Dieses bildet den Kern des Markts, der allerdings auch Jurten, -zubehör, Nahrungsmittel, Möbel und allerlei andere Dinge zu bieten hat. Dort erwerbe ich meine einzigartigen Yaksocken, eine wärmende Kapuzenjacke und eine Mütze. Nicht perfekt, aber besser als zuvor. Von mir aus kann es losgehen. Unser TourOperator benötigt noch einen Tag Vorlauf, den wir noch dazu nutzen, die beiden freien Plätze zu füllen, da dies die Kosten um ca. 100€ pro Person senken würde und eine Gruppe von sechs Personen auch mehr Abwechslung verspricht. Ich verabrede mich nach unserem Marktbesuch mit John für ein abendliches Bier und begebe mich in mein Hostel, um meine Sachen zu packen.

Gegen 19 Uhr verlasse ich meine Herberge, da ich vor meinem Treffen mit John noch das Geld für meine Anzahlung für die Tour besorgen muss. Die größte Ansammlung an Automaten befindet sich im State Department Store, einem westlichen Kaufhaus, mit mehr als westlichen Preisen. Allerding möchte keiner der Automaten mir die gewünschte und auch maximale Summe pro Tag von 800.000 Turuig auszahlen. Ich versuche 700k, 600k, 500k – ohne Erfolg. Leicht frustriert beschließe ich mich erst mal mit mongolischer Küche im Selbstbedienungsrestaurant in der obersten Etage zu stärken. Ich zeige auf das Gericht meiner Wahl und die bis dato freundliche Servicekraft auf der anderen Seite des Tresens brüllt mir ein „Noooooo!!!!“ ins Gesicht. Oha – leicht irritiert frage ich mich, welche Normen ich verletzt habe. Sie wendet sich umhgehend an eine Mongolin, dir mir daraufhin die Situation ausgiebig in feinstem Oxfordenglisch erörtert: „Fiehniesch!“. Gut, dann ordere ich eben gekochtes Lamm mit Reis für 2 €. Dieses ist auch vorrätig und wird mir in Rekordzeit auf dem Tresen präsentiert. Gestärkt und mit neuer Kraft, kehre ich zu den Automaten zurück probiere es erneut, vorerst erfolglos, bis ich es mit 400.000 probiere, die ich anstandslos ausgezahlt bekomme, zweimal in Folge. Als ich das Geld sicher verstaut habe, stelle ich fest, dass der Reißverschluss der Tasche an meiner Hose, die meinen Pass beinhaltete, geöffnet und die Tasche leer ist, ergo der Pass ist weg. Das kann ich ja nun gerade noch gebrauchen, am nächsten Morgen beginnt die Tour und ich habe vorerst keine Zeit mich darum zu kümmern. Ob verloren, oder gestohlen bleibt vorerst unklar. Ich laufe noch mal meine Route im State Department Store erfolglos ab und begebe mich dann zu John im Hostel. Deposit einzahlen und offene Punkte klären, nimmt nur wenige Minuten in Anspruch. John hat noch zwei Australier gefunden, Taylor (19) und Alex (18), die sich uns anschließen möchten. Perfekt. Die anschließende Kontrolle sämtlicher Mülleimer rings um das Kaufhaus, in welchen mein Pass nach einem Diebstahl möglicherweise gelandet sein könnte, ist obligatorisch. Ich hinterlasse im Kaufhaus noch meine Daten, für den Fall, dass sich mein Pass dort anfindet. Anstatt eines Biers gibt es sto gramm (100g) Wodka für mich, bevor der Tag mit gemischten Gefühlen endet.

Montag, 05.09.2011 – Tag 1

Mit meinem ganzen Gepäck – bis auf meinen Reisepass – verlasse ich gegen 7.30 Uhr das Natural Guesthouse und begebe mich vorbei am Geldautomaten, um die noch ausstehende Summe zahlen zu können, zum Golden Gobi Hostel. Dort angekommen erwartet mich ein kleines Frühstück, Brot, Salat und Rührei, welches ich – nachdem ich die fehlenden 150k entrichtet habe – genüsslich zu mir nehme.

Ca. eine Stunde später ist es soweit, Sandra (CH), Bernadette (A), John (GB), Taylor & Alex (AUS) und ich besteigen den alten Minibus russischer Bauart, genannt PURGON, der sogar einen Bullenfang, Tuningfelgen und einen MP5-Player hat. Auf den vorderen Sitzen nehmen Sugaraa – unser Fahrer – und Otgu – unser Guide – Platz. Und so verlassen wir auf der Straße, auf welcher ich Ulan Bator wenige Tage zuvor erreichte, die Stadt voller Spannung, was uns die nächsten 18 Tage erwarten wird.

Gegen Mittag stoppen wir an einem Haus am Rand der Straße, dem man seine Funktion von außen nicht ansieht. Nachdem wir es betreten haben, ist jedoch klar, dass hier Speisen und Getränke zum Verzehr angeboten werden. Gekochtes Lamm mit Gemüse und Reis wird gereicht und dankbar verzehrt.

Weiter geht es auf der komfortablen asphaltierten Straße, bis wir gegen 15 Uhr einige Sanddünen – Elsen tasurhai – erreichen, die direkt an einem Flüßchen gelegen sind. Hier werden die Zelte errichtet, in denen wir die erste Nacht verbringen werden. Doch zuvor wird noch ausgiebig die Pferdeherde bestaunt und abgelichtet, die sich im und am Wasser sonnt. Der Rest des Nachmittags wird mit dem Sammeln von Feuerholz und Spaziergängen in den Sanddünen gefüllt, die jedoch schlagartig beendet werden, als starker Wind aufkommt, der den Sand in alle Poren trägt.

Im Inneren des Busses nehmen wir das von Otgu zubereitete Abendmahl – ein indisch anmutendes Gemüsecurry mit Reis – zu uns, bevor das Feuer entzündet wird und so der Abend ausklingt.

Dienstag, 06.09.2011 – Tag 2

Am nächsten Morgen weckt mich die Kälte. Nur Shorts, T-Shirt, Schlafsack und Zelt waren anscheinend nicht ausreichend. Ein Blick aus dem Zelt in dem ich mit John genächtigt habe, verrät mir, dass der Himmel bewölkt und es draußen grau ist. Nicht gerade die besten Voraussetzungen, um mich aus dem Zelt zu locken. Doch wir bekommen zunächst Besuch, in Form eines Hundes der benachbarten Nomadenfamilie deren Jurten sich in der Nähe befinden, und dieser schaut neugierig in unser Zelt, was mich dann doch zum Aufstehen veranlasst. Zum Frühstück gibt es –von nun an so gut wie jeden Tag – weißes Brot, Butter, Marmelade und Schokocreme, sowie Tee und Kaffee.

Aufgewärmt vom Tee, bediene ich mich mutig des erfrischend kalten Wassers des Flüsschens, um wenigstens eine rudimentäre Körperpflege durchzuführen. Als ich dabei meinen Blick zum Himmel richte, erblicke eine Gruppe von Vögeln, die einer Bomberstaffel gleich, über unsere Köpfe hinwegziehen, um sich in einer Entfernung von ca. 200m in den Sanddünen niederzulassen. Bei näherer Betrachtung entpuppen sich diese Vögel als Geier, in Begleitung einiger Falken. Ich hoffe, dass sie es nicht auf unsere sterblichen Überreste abgesehen haben und besteige unser Gefährt.

Nach einer Stunde Fahrt erreichen wir das Kloster Erdene Zuu, eines der ältesten und ehemals bedeutendsten in der Mongolei. Die Gipfel der das Kloster umgebenden Berge sind leicht schneebedeckt und so fühlt es sich auch an. Zum Glück wärmt mich auf der Tour durch das Kloster die in UB noch schnell erworbene Kapuzenjacke halbwegs. Neben einigen leeren, restaurierten Tempeln die wir besichtigen, bekommen wir auch die Gelegenheit, einer buddhistischen Zeremonie beizuwohnen. Das heißt, sie ist eigentlich schon in Gange, als wir das Gebäude betreten, aber die Mönche lassen sich weder von uns, noch von den mongolischen Besuchern stören und rezitieren fleißig ihre Verse.

Unser Weg führt uns weiter, über ein paar Berge und Hochtäler, vorbei an der Stadt Tsetserleg und den ersten Yaks zum Fluß Ikh Tamir, in dessen Auen wir unser Nachtlager aufschlagen. Ein Duett aus Feuer und Wodka rundet den Abend ab.

Mittwoch, 07.09.2011 – Tag 3

Als ich gegen 8 Uhr erwache, hat unsere Frühaufsteherin Berni das wärmende Feuer bereits wieder entfacht, was sowohl das Frühstück als auch das Waschen im eisigen Fluss wesentlich angenehmer gestaltet.

Wir verlassen nun stellenweise die asphaltierte Route und befahren stattdessen buckelige Pisten – über Stock und über Stein trifft es ganz gut – durch die weichen sanften grünen Hochebenen & -täler, vorbei an Yakherden und schneebedeckten Gipfeln. Dies verliert jedoch schlagartig an Charme, als ein Schneetreiben einsetzt, wodurch die Sichtweite auf unter 50m fällt. Doch dies überstehen wir unbeschadet und nähern uns dem White Lake, vorbei an einem erloschenen Vulkan, mehr hüpfend, als fahrend, ob der Straßenverhältnisse. Diese Art der Fortbewegung veranlasst Alex schließlich plötzlich „Stopp“ zu rufen und aus dem haltenden Wagen zu sprinten, um sich seines Mageninhalts zu entleeren. Gegen 13 Uhr erreichen wir ein paar Jurten, malerisch gelegen zwischen den Ufern des White Lake und den See umgebenden Bergen. Ein alter traditionell in einen Deel gehüllter Mongole hat unsere Jurte schon anheizt, was einen willkommenen Empfang darstellt, nach der Fahrt im kalten und nahezu unbeheizten Bus. So schlummern wir satt und zufrieden nach dem Mittag in der wohligen Wärme ein.

Um den Nachmittag nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, entscheiden wir uns, im Sonnenschein einen Gipfel der umliegenden Berge zu erklimmen. Begleitet werden wir dabei zu Beginn von einem Hirtenhund der Familie, der sein können eindrucksvoll demonstriert, als wir eine Pferdeherde erreichen und er diese in Rekordzeit zusammentreibt. Der Gipfel selbst, beschert uns ein einmaliges Panorama über Berge und See.

Donnerstag, 08.09.2011 – Tag 4

Der neue Tag beginnt – wie mittlerweile gewohnt – mit einem kalten Morgen. Der alte Mann betritt gegen 6 Uhr die Jurte und heizt den Ofen an, wodurch es wesentlich leichter wird, aus dem wärmenden Schlafsack zu kriechen. Fließjacke und  lange Unterhose sind mittlerweile Standardschlafbekleidung.

Trotz des blauen Himmels und der strahlenden Sonne, sind sowohl Boden als auch Jurte mit reichlich Reif bedeckt und das Waschwasser ist im Kanister gefroren. Vormittags mache ich einen kleinen Spaziergang, entlang des Ufers, bis zu einem Felsen, der eine willkommene Gelegenheit bietet, die Umgebung genießen zu können.

Nach dem gemeinsamen Mittagessen brechen wir auf, um bereits nach wenigen Minuten wieder zu halten und uns die Yellow Dog Hell, eine kraterartige Höhle im Lavagestein, anzuschauen. Im Anschluss daran erklimmen wir den erloschenen Khorgo-Vulkan und haben so freie Sicht über das Lavafeld, bis hin zum White Lake.

Die Strecke, die wir gekommen sind, fahren wir nun zurück bis zum Chuluut Gol, wo sich das Wasser im Laufe der Zeit in das Gestein eingefressen hat, so dass ein Canyon mit bis zu 200m tief abfallenden Steilhängen zu bewundern ist.

Wir stoppen ein paar hundert Meter abseits der Schlucht  im Wald, um dort unser Camp zu errichten. Beim Entladen des Purgons fällt ein leises Zischen auf, welches unser Gespräch untermalt. Die Ursache dafür liegt in dem defekten Reifen, der sukzessive Luft verliert. Ratlosigkeit macht sich auf unseren Gesichtern breit, haben wir doch kein Ersatzrad und die nächste Werkstatt ist mindestens 100km entfernt. Sugaraa hingegen lächelt müde, schnappt sich Werkzeugkiste und Wagenheber, hebt den Bus an, demontiert das defekte Rad, entfernt den Mantel halb, flickt den Schlauch und setzt anschließend auch wieder alles ordnungsgemäß zusammen. Und wo er schon mal dabei ist, entfernt er auch gleich noch die beiden Vorderräder und baut und bastelt an der Achse.

Wir haben unterdessen Feuerholz gesammelt und uns den Canyon angesehen. So können wir das Abendbrot vor malerischer Kulisse genießen und uns für die Nacht etwas aufwärmen.

Freitag, 09.09.2011 – Tag 5

Als mich nach dem Erwachen der Durst plagt, greife ich aus dem Zelt zu meiner Wasserflasche, muss jedoch feststellen, dass eine ca. 1cm dicke Eisschicht das Trinken verhindert. Auch meine Füße haben mir bereits seit ca. 5 Uhr signalisiert, dass wir Minusgerade haben. Eine nicht gerade erfreuliche Situation, vor allem wenn man denkt, dass ich den Winter dieses  Jahr vermeiden wollte.

Unser nächster Stopp ist die Stadt Tsetserleg, wo wir vor allem unsere Nahrungsmittelvorräte auf dem Schwarzmarkt auffüllen. Wir verlassen den Ort sozusagen durch den Hinterausgang und bewegen uns auf abenteuerlichen Pfaden durch Flüsschen und über „Brücken“ an eine Stelle nahe des Wassers, wo wir in Gesellschaft einiger junger Yaks zu Mittag essen.

Das heutige Ziel sind die heißen Quellen von Tsenkher, der Weg dorthin ist das Abenteuerlichste, was mir bis dahin in der Mongolei begegnet ist. Bucklig, löchrig, steil auf und steil ab, seltenst befahrenen Waldwegen gleichend, wobei mein Kopf mehrfach den zum Glück weich gepolsterten Himmel des Purgons touchiert und mein Magen ernsthaft überlegt, sich vom Frühstück zu trennen. Ich bin froh, als wir auf einem Gipfel pausieren und mein Mageninhalt so die Gelegenheit bekommt, sich wieder abwärts in der Speiseröhre zu bewegen, ohne meinen Körper verlassen zu haben.

Als wir die Quellen erreichen, beziehen wir umgehend eine Jurte im naheliegenden Touristencamp. In der Mongolei werden sowohl Jurten von – mehr oder minder professionellen – Familien, als auch von reinen Touristencamps vermietet. Schnell wird frische Wäsche und ein Handtuchgegriffen und dann geht es in den Wellnessbereich. Dieser besteht aus westlichen Toiletten, ein paar Duschen die heißes und kaltes Wasser liefern und einem Außenpool, der mit Quellwasser gespeist wird. Hat am Anfang noch die Freude über warmes reinigendes Wasser nach mehreren frostigen Nächten die Oberhand, so weicht diese peu a peu der Abneigung gegenüber dem schwefligen Geruch des Wassers, was mich nach ca. 20 Minuten dazu bewegt den Pool zu verlassen und meinen Körper noch mal gründlich mit Seife zu reinigen. Zum Glück hat die Wäsche den Geruch nicht angenommen.

Samstag, 10.06.2011 – Tag 6

Die Nacht in der Jurte war angenehm warm und nach dem Frühstück brechen wir auch schon auf. Die Qualität der Straßen hat sich nicht geändert und ich wundere mich immer wieder, wie Sugaraa sich orientiert, während er anscheinend im Rallyemodus ist und alle Fahrzeuge, die er am Horizont entdeckt, erst ein- und dann überholt.

Zur Mittagszeit erreichen wir den Orkhon-Wasserfall, wo ein kleiner Fluss ca. 22m in die Tiefe stürzt, bevor er sich anschließend in den Orkhon ergießt. Nach eingehender Erkundung des Wasserfalls und des umliegenden Geländes, verwöhnt Otgu unsere Gaumen mit einem gezwiebelten Ragout vom zentralmongolischen Yak an einem Duett aus gerösteter Paprika und Olive auf einem Reisbett. Köstlich!

Nur wenige Kilometer weiter befinden sich dir Jurten einer Nomadenfamilie, die ausschließlich mit unserer Agentur – Golden Gobi – zusammenarbeitet, so dass schließlich fünf Purgons dort geparkt sind. Wir werden in der Jurte der Familie mit Milchtee (gesalzener Schwarztee mit Yakmilch, je nach Region auch gerne mit einem geschmacksgebenden Knochen angereichert), sowie Pfannkuchen mit Yakbutter empfangen. Ein Ärger, dass ich bereit so satt bin. Die „Hauptattraktion“ der Jurte sind die beiden kleinen Kinder der Familie, die uns Grimassen schneiden und spielend unterhalten, sowie die beiden Hundewelpen, die ausgiebig mit uns in der Nachmittagssonne tollen wollen.

Sonntag, 11.09.2011 – Tag 7

Der Tag bringt Sonnenschein und etwas aufgeregt bereiten wir uns und unsere kleinen Rucksäcke auf die nächsten vier Tage vor, von denen wir zwei reitend und zwei wandernd im Nationalpark Naiman Nuur (8 lakes) verbringen werden.

Als nach einer guten Stunde unsere beiden Packpferde beladen sind, besteigen auch wir unsere Tiere und setzen uns ohne Sugaraa, dafür in der Begleitung zweier zusätzlicher Mongolen (Vater & Sohn), denen die Pferde gehören, in Bewegung. Da wir keine Mongolen sind, haben wir Leder- anstelle von Holzsätteln bekommen, was einen immensen Unterschied bezüglich des Sitzkomforts ausmacht. Solange mein Pferd gemächlich vor sich hin schreitet, ist auch alles angenehm und ich kann die mich umgebende Natur genießen. Von Zeit zu Zeit jedoch fällt es in einen leichten Trab, um zum vorausreitenden Mongolen aufzuschließen und dies fühlt sich dann an, wie unzählige leichte Tritte in den Unterleib. Mit der Zeit würde man sich daran gewöhnen – ich bezweifle dies. Um einer kinderlosen Zukunft vorzubeugen, richte ich mich von nun an in den Steigbügeln auf, sobald mein Pferd zu traben beginnt. Die Zeit wird zeigen, ob sich die Mühe lohnte.

Nach einem Picknick am Fluss, welches ich auch nutze, um ein Nickerchen im Sonnenschein zu machen, erreichen wir mit unserer Pferdekarawane am Nachmittag eine in einer Flussbiegung gelegene Lichtung, die unser Lagerplatz für diese Nacht sein soll. Die Pferde werden entladen, die Zelte errichtet, Feuerholz gesammelt und Otgu macht sich daran, dass Abendbrot zu bereiten, Ich streife den Fluss etwas auf und ab, um zu sehen, ob er sich überqueren lässt, jedoch ohne Erfolg. Bei meiner Rückkehr vernehme ich „Dinner is ready!“ und eile zum Wasser, betrete einen großen soliden Stein und beuge mich hinunter, um meine Hände zu waschen. Just in diesem Moment spüre ich, wie der Stein zu kippen beginnt und ich versuche mich mittels Drehung und anschließendem Sprung auf dem Trockenen zu halten. Vergebens. Während die Drehung gelingt und einer Bestnote würdig ist, ist es für den Sprung zu spät und plötzlich stehe ich unerwartet bis zur Brust im Wasser. Grundsätzlich wäre das halb so wild, hätte ich nicht Telefon und MP3-Player in der Tasche und die Kamera am Gürtel, sensible Wunderwerke der Technik, denen eine gewisse Aversion gegen Wasser inne wohnt. Also nichts wie raus aus dem Nass und die Taschen geleert. Während Telefon und MP3-Player nass und unbenutzbar sind, hat die Kameratasche ihren Inhalt vor dem Schlimmsten bewahrt.

Anstelle des Abendbrots steht für mich erst mal Umziehen und Trocknen auf dem Programm. Rund um das Feuer errichte ich aus Astgabeln und Ästen Trockenplätze für meine Kleidung, da ich außer eines T-Shirts und einer langen Unterhose keine Wechselsachen dabei habe. Unsere mongolischen Horsemen meinen es gut mit mir und heizen das Feuer kräftig an, so dass bis auf meine Yaksocken alle Sachen mehr oder weniger große Brandlöcher aufweisen und meine Schuhe angeschmolzen und nicht länger wasserdicht sind. Aber wenigstens werde ich am nächsten Tag in trockenen Sachen auf dem Pferd sitzen.

Montag, 12.09.2011 – Tag 8

Die Glut hat sich bis zum Morgen gehalten, so dass das Entfachen des Feuers leicht fällt. Mich meiner trockenen Sachen freuend sitze ich am Feuer und frühstücke in wohliger Wärme.

Unser heutiger Trek führt uns in die Berge, wesentlich mehr auf als ab auf unwegsamen Pfaden, so dass ich froh bin, dies nicht per pedes bewerkstelligen zu müssen. Die Szenerie wechselt und erinnert mehr und mehr an die rauen Hochebenen Norwegens, mit spärlicher Vegetation und flechtenbewachsenen Geröllfeldern.

Unsere mittägliche Rast wird jäh durch eine Mischung aus Eisregen und Hagel unterbrochen, begleitet von einem spürbaren Temperaturabfall. Als wäre dies nicht genug, beginnen wir nun auch mit der ca. einstündigen Durchquerung eines Hochmoor- und Morastgebietes, in welchem die Pferde teilweise bis zum Bauch einsinken. Vom Pferderücken aus, ist es jedoch nur halb so wild. Als wir unsere Jurte erreichen, wartet dort bereits eine andere Gruppe, die auf unseren Pferden wieder in die entgegengesetzte Richtung reiten soll. In unserem „Have fun!“ schwingt mehr als nur ein wenig Mitgefühl mit. Wir hingegen können uns zunächst am Ofen der Familie und Milchtee aufwärmen, während unsere Jurte vorbereitet wird. Als die Vorbereitungen abgeschlossen sind und wir umziehen, stellen wir fest, dass für uns sechs nur fünf Betten vorhanden sind. Da ich zufälligerweise der Letzte bin, der die Jurte betritt, trifft es mich, Isomatte und Schlafsack am Boden, aber dafür in unmittelbarer Nähe des Feuers auszubreiten. Eine weise Entscheidung, die sich im Laufe der Nacht noch bezahlt machen wird, denn draußen hat sich der Eisregen in leichten aber konstanten Schneefall gewandelt, begleitet von eisigem Wind. Ein erneutes Mal versuche ich mein Telefon einzuschalten, immerhin ist heute der Geburtstag meines Großvaters und ich würde gerne wenigstens per SMS gratulieren. Und siehe da, es scheint zu funktionieren, jedoch hat niemand in diesem abgelegenen Winkel der Erde Empfang. Als ich 10 Minuten später auf mein Telefon schaue, ist es aus – anscheinend für immer.

Dienstag, 13.09.2011 – Tag 9

Bedingt durch meinen Schlafplatz, war die Nacht für mich nur semikalt und ich beginne den Tag mit einem morgendlichen Spaziergang durch schmelzenden Schnee und eine neblige Landschaft zum nahegelegenen See. Und wo ich schon mal dort bin, unterziehe ich mich einer – nennen wir es, recht erfrischenden – Waschung. Zum Frühstück werden frisch gebackene Pfannkuchen und Yakbutter gereicht, das bis dato wohl schmackhafteste Frühstück für mich in der Mongolei. Otgu teilt uns währenddessen mit, dass er gerne auf die heute anstehende Wanderung und die damit verbundene Übernachtung in Zelten wegen des bevorstehenden Schneesturmes verzichten und dafür eine weitere Nacht bei der Familie in der Jurte verbringen würde. Angesichts des schmelzenden Schnees und der durch die Wolken brechenden Sonne, ist dies eine schwer zu glaubende Begründung. Allerdings überzeugt uns die Aussicht auf eine weitere warme Nacht, anstelle des frostigen Zeltes.

Nach dem Frühstück wandern wir ein wenig und erklimmen einen steilen Hügel, um das Panorama und den gleichzeitigen Ausblick auf zwei der acht Seen genießen zu können und umrunden anschließend noch einen der beiden. Pünktlich zum Mittag sind wir mit durchnässten Schuhen, Strümpfen und Hosen zurück und pünktlich nach dem Essen setzt der angekündigte Schneesturm ein.

Mitten im Sturm trifft eine niederländische Wandergruppe (13 Personen zwischen 30 und 60 Jahren), inklusive Packyaks, Guide, Koch, Kochassistent – der augenscheinlich betrunken in unserer Jurte erscheint und sich mit uns unterhalten will -, sowie einigen weiteren Begleitpersonen ein. Der weibliche Guide kommt auch umgehend in unsere Jurte, um ein Gespräch zu beginnen. Wer wir sind, woher wir kommen, was wir in der Mongolei gesehen haben und noch sehen werden, ob wir nicht aus unserer Jurte aus- und die Familienjurte einziehen wollten… Ha – beinahe hätte es geklappt, doch Otgu ist auf der Hut und hakt nach, ob es denn mit dem Besitzer der Jurten abgesprochen sei. Ja natürlich sei es das, dann möge sie diesen doch bitte herbei holen, erklärt Otgu, worauf sie die Jurte verlässt und nach wenigen Minuten wieder betritt, um uns mitzuteilen, ihre Gruppe hätte sich entschlossen lieber in Zelten und der Familienjurte zu übernachten. Aha, nicht wirklich glaubwürdig, aber zumindest sind wir sie los.

Wir bieten den Holländern an, sich ins unserer Jurte aufzuwärmen und ihre Sachen zu trocknen, wovon einige sofort und dankbar Gebrauch machen. Zudem bringen sie uns Hank, 61 Jahre alt, der krank und leichenblass ist und gar nicht gut aussieht. Berni stellt ihm ihr Bett zur Verfügung, damit Hank sich in einer warmen Jurte niederlegen kann. Hank dankt es, indem er später, kurz bevor wir zu Bett gehen, den Löffel Suppe und die drei Schlucke Tee, die er zu sich genommen hat, sowie reichlich Magensaft über Bett und Boden erbricht. Unsere Jurte ist den ganzen Abend mit sich wärmenden Holländern gefüllt, die erst auf ihr 4-Gänge-Menü, dann auf den Aufbau ihrer Zelte warten. Offenbar eine andere Art zu reisen.

Mittwoch, 14.09.2011 – Tag 10

Tag 10 beginnt sehr früh um 6 Uhr, schließlich müssen wir heute die Strecke, die ursprünglich für zwei Tage angedacht war, in einem Marsch bewältigen. Das heißt 17 km, ca. 1200 Höhenmeter, bei einer Schneedecke von 20cm und nicht abreißendem Schneetreiben sind zurückzulegen. Um 9 Uhr verlassen wir die Familie und beginnen unseren Marsch mit dem überschreiten einiger verschneiter Geröllfelder, denen auch gleich einige Wasserläufe und Sumpfgebiete folgen, so dass bereits nach einer Stunde alle nasse Füße haben. Der Schnee tut sein Übriges, in dem er in die Schuhe sickert und die Hosenbeine durchnässt. Somit werden der spröde Charme und die herbe Schönheit der Mongolei für uns nicht nur sicht-, sondern auch hautnah erfahrbar.

Zwei-, dreimal müssen wir im Sumpf umkehren, da ein Durchkommen nicht möglich scheint und noch immer tanzen die Schneeflocken um unsere Nasen. Dreieinhalb Stunden später erreichen wir den größten der acht Seen, wo wir Rast machen, uns stärken und mental auf die zweite Hälfte des Weges vorbereiten, die zwar trockener, aber angesichts des bevorstehenden Aufstiegs von 1.900 auf 3.000m körperlich anspruchsvoller ist. Der erfahrene Bergsteiger unter den Lesern weiß, dass die Temperatur je 100 Höhenmeter um ca. 1 Grad abnimmt, Wind und widrige Witterungsverhältnisse jedoch gern auch zunehmen. So beginnen wir den letzten Teil, wobei die Pausenfrequenz merklich zunimmt, bis ich beschließe, die Pausen auszulassen, da meine Muskulatur jedes Mal abkühlt und ich schwerer in Gange komme. Daher ist es mir als Erstem vergönnt, jubelnd auf der höchsten Stelle des Passes zu stehen und auf die anderen im atemraubenden zu warten, die peu á peu eintrudeln. Gemeinsam machen wir uns an den Abstieg, der uns in ca. einer Stunde zu unserer Jurte führen soll, als…als ein grauer Purgon mit Bullenfang, Tuningfelgen und MP5-Player um einen Hügel gerutscht kommt, auf uns zu hält, rutschend im Schnee dreht und hält und dem Sugaraa in einen klassisch mongolischen Deel gehüllt, mit warmen Winterstiefeln – einem Jediritter gleich – entsteigt. Welch eine Freude bricht in uns aus und wir stürmen nach 7,5 Stunden auf Sugaraa ein, drücken und beklopfen ihn ausgiebig, bevor wir in seinen Wagen steigen. Noch nie war Milchtee so wärmend und willkommen, wie an diesem Tag.

In unserer Jurte erklärt uns Otgu, dass es in dieser Gegend keine Bäume, Holz, oder ähnlich brennbares Material gäbe und die Bewohner daher vorrangig mit Yakdung heizen würden, den sie uns zur Genüge zur Verfügung stellen. Das Entfachen eines Feuers mit diesem gestaltet sich sowohl für uns als auch für die Mongolen schwierig, so dass endlose dicke Schwaden stinkenden Qualms die Jurte füllen, bevor dem aus dem Glimmen schließlich ein Brennen wird und die wohlige Wärme sich einstellt.

Donnerstag, 15.09.2011 – Tag 11

Nachdem das Feuer im Ofen erloschen ist, wird die Nacht fürchterlich kalt und der Dung widersteht auch hartnäckig und erfolgreich unserem Versuch, ihn am nächsten Morgen wieder in Brand zu setzen, so dass die Abfahrt gar nicht früh genug sein kann. Über verschneite Pisten und halb zugefrorene Flüsschen chauffiert uns Sugaraa langsam und vorsichtig, während der Schnee immer weniger wird und auf einmal die Stadt Arvaikheer vor uns liegt. Hier verlässt uns Bernadette, die eigentlich per Bus nach Ulan Bator zurückfahren soll. Leichter gesagt, als getan, denn zwar sind wir pünktlich vor Ort und der Bis ist auch noch da, jedoch sind bereits alle Tickets verkauft. Zum Glück kann Otgu noch einen freien Platz in einem Minibus für Berni ergattern.

Wir statten dem örtlichen Schwarmarkt noch einen Besuch ab, um vorrangig Lebensmittel zu erwerben und gehen danach – überraschenderweise – in ein öffentliches Bad, wo wir in den Genuss der zweiten heißen Dusche auf unserer Tour kommen. Dadurch sind wir nun zeitlich stark im Verzug, was Sugaraa durch einen beispiellosen Rallyefahrstil auszugleichen versucht. Fern von Schnee und Eis halten wir, noch nicht in der Gobi, in einer scheinbar unendlichen wüstenähnlichen Ebene, die nur an Seite am Horizont durch ein Gebirgsmassiv begrenzt wird und über die sich ein beeindruckender Sternenhimmel spannt.

Freitag, 16.09.2011 – Tag 12

Frost auf dem Zelt und ein wolkenloser Himmel eröffnen den zwölften Tag  unserer Tour. Wir passieren auf abenteuerlichen „Straßen“ einige Berge und befinden uns schließlich inmitten einer scheinbar unendlichen, nur ab und an von Hügeln unterbrochenen kies- und Schutthalde, der Beginn der Gobi. Unvorstellbar, wie Menschen auf die Idee kommen, in dieser Umgebung Ihr Leben zu fristen und dennoch passieren wir hin und wieder, wenn auch selten, eine Jurte, die einsam den widrigen Bedingungen zu trotzen scheint. Circa vier Stunden rasen wir mit bis zu 100 km/h durch die Einöde, bis wir mitten in einer Kamelherde halten und Rast machen.

Gegen 16.30 Uhr gelangen wir zu unseren Jurten, die ca. 2 km entfernt der großen Sanddünen gelegen, welche sich 180 km durch die Gobi ziehen, unser Heim für die nächsten beiden Nächte sein werden. Der Herr des Hauses heißt uns mit Milchtee, Schnupftabak, Gebäck, Aaruul (getrockneter Quark, hier aus Kamelmilch; äußerst aromatisch und intensiv, säuerlich), Kamelmilch und einem Gericht, bestehend aus gebratenem Reis in einer Öl-Wasser-Milch-Emulsion, mit mehr fett-, als felischhaltigen Hammelknochen, sowie einem herzlichen und offenen Lachen willkommen. Das ehrlichste Willkommen bis dato in einer Jurte.

Nachdem wir unsere Jurte bezogen haben, die mit äußerst bequemen Matratzen ausgestattet ist, begeben wir uns zu den beeindruckenden Sanddünen und erklimmen diese, was uns kurz vor Sonnenuntergang einen einmaligen und atemberaubenden Ausblick auf die Dünen und die Wüste verschafft.

Samstag, 17.09.2011 – Tag 13

Am Vormittag erwartet mich ein besonderes Erlebnis. Nicht nur, dass Sugaraa mit mir Ringen möchte, was in einem 10-15 minütigen Kamp endet, den ich letztendlich und zur Überraschung der umstehenden Mongolen, durch einen Fußfeger für mich entscheiden kann – danke Übungsleiter. Das eigentliche Highlight ist die in nur wenigen Kilometern Entfernung in den Sanddünen stattfindende Filmproduktion. Dort werden einige Szenen für einen Film gedreht, der dem 100. Jahrestag der mongolischen Unabhängigkeit von der Mandschurei gewidmet ist und der das Leben des Bogd Khaan (mongolischer König) darstellt. Ungefähr 50 Kamele und die gleiche Anzahl an Laiendarstellern wurden dafür aus den „umliegenden“ Jurten rekrutiert, u.a. unser Hausherr, samt einiger Kamele, sowie ein 70-jähriger Freund der Familie der eigens aus diesem Anlass 300km mit zwei Kamelen angereist ist.

Sugaraa bringt uns in die unmittelbare Nähe des Sets, welches aus einem Wirrwarr aus aufgeregten Monoglen in historischer Tracht und Kamelen, sowie einer ca. 5-köpfigen Filmcrew besteht, die versucht Ordnung in das Chaos zu bringen. Als sich eine Gruppe von ungefähr 15 Kamelen entschließt, wieder nach Hause zu gehen, ruft uns der Regisseur etwas zu, was Otgu als Aufforderung die Kamele wieder einzufangen übersetzt. Unser herzhaftes Lachen über diesen Scherz verstummt, als Otgu uns versichert, die Bitte sei ernst gemeint und so beginnen Taylor und ich den mittlerweile ca. 1km entfernten Kamelen nachzulaufen, sie zu zweit „einzukreisen“ und dann mit allerlei Pfeif-, Klatsch- und Summgeräuschen zur Rückkehr zu motivieren. Als wir nur noch 30m entfernt sind, kommen uns eine Handvoll Mongolen auf Pferden und Kamelen entgegen und übernehmen die Tiere. Sinnvoller wäre es womöglich gewesen, gleich auf diese Art und Weise die Kamele einzufangen, aber vermutlich wollten die Mongolen auch ihren Spaß haben. Wir begleiten die Dreharbeiten noch eine Weile, bis wir uns zum Mittag zurück zu unserer Jurte begeben.

Nachmittags dürfen wir auf Kamelen zu den Sanddünen reiten, welches ein zweifelhaftes Vergnügen darstellt, nicht wegen der Sanddünen, sondern auf Grund des Transportmittels. Die Schrittgeschwindigkeit der lethargischen Tiere ist dermaßen einschläfernd, dass ich am liebsten absteigen und zu Fuß weitergehen möchte und mein Hintern soll noch zwei Tage später schmerzen.

Sonntag, 18.09.2011 – Tag 14

Die beste Nacht unserer Tour liegt hinter mir. Auf einer weichen Matratze habe ich bis zum Morgen durchgeschlafen und nur marginal gefroren. Nach dem Frühstück setzen wir unsere Gobi-Rallye fort, in Richtung der Flammenden oder auch Roten Klippen. Hier wurden 1922 die ersten Überreste von Dinosauriern und deren vollständig erhaltene Gelege gefunden, deren Alter auf ca. 65-100 Mio. Jahre geschätzt wird. Die Klippen selbst bestehen aus rotem, tonähnlichem Gestein, was ihnen auch zu ihrem Namen verhilft und erheben sich ungefähr 100m über die Ebene. Von dort sind es nur ca. 10 Minuten im Purgon und Sugaraa am Steuer bis zur Jurte, die in fußläufiger Reichweite eines Restaurants gelegen ist, welches uns die willkommenen ersten Bier seit zwei Wochen beschert.

Montag, 19.09.2011 – Tag 15

Seitdem Berni uns verlassen hat, bin ich es, der als erstes – meist gegen 8 Uhr – erwacht und somit habe ich morgens das Privileg, außerhalb von Zelt und Jurte die einzigartige Stille genießen zu dürfen. Eine ungewohnte Erfahrung, wenn weder Mensch, noch Tier, noch Maschine Klangwellen erzeugen und das Rauschen des Blutes in den Adern das einzige Geräusch ist, welches die Sinne wahrnehmen.

Nachdem wir die roten Klippen bereits besichtigt haben, werden wir heute mit den weißen Klippen fortfahren. Doch anscheinend sind Otgu und Sugaraa sich nicht ganz sicher, welcher der vielen Wege denn nun wirklich nach Rom, oder genauer gesagt zu den weißen Klippen führt. Mehrmals drehen und biegen wir anschließend in eine andere Richtung ab. Erstmals bekommen wir Zeugen der reichen Rohstoffvorkommen in der Mongolei, in Form von Goldminen zu Gesicht, die im Wesentlichen aus riesigen Schutthalden, Containerdörfern und einigen Jurten bestehen. Unspektakulär.

Mitten im Niemandsland halten wir an einer einsamen Jurte, wobei ich vermute, dass die beiden nach dem Weg fragen wollen. Auf meine Frage, ob er denn wisse wo wir uns befänden, antwortet Otgu jedoch mit: „Ja, in der Gobi!“ und einem Lachen. Die Tür zur Jurte öffnet sich und drei kleine Mädchen im Alter von 1-8 Jahren gucken uns mit großen Augen an und da ist die Tür auch schon wieder zu. Otgu und Sagaraa treten trotzdem ein und fordern uns auf ihnen zu folgen. Im Inneren der Jurte läuft ein englischsprachiger Weihnachtstrickfilm im TV und die Älteste der Schwestern reicht uns Milchtee, Gebäck und Aaruul. Ein paar Minuten später kommen auch die Eltern auf einem Motorrad angefahren, setzen sich zu uns in ihre Jurte und erklären uns den Weg. Auf geht’s und nach wenigen Kilometern befinden wir uns wieder auf dem rechten Weg, von dem Sugaraa nur kurz abweicht, um uns der Herde von geschätzten 200-300 wilden Gazellen näher zu bringen, die neben dem Weg grasen und mit bis zu 60 km/h vor uns flüchten, was sie bis zu 12 Kilometer durchhalten können.

Die weißen Klippen werden für uns erst sichtbar, als wir direkt auf ihnen halten und das Gelände vor uns steil abfällt. Bei näherer Betrachtung sind die Klippen aber gar nicht weiß, eher beige, mitunter mit gelblichem Einschlag und von purpurnen horizontalen Schichten durchzogen. Nachdem wir die Klippen ausgiebig bestaunen, sie hinab steigen und dort Otgu und Sugaraa samt Purgon wiedertreffen, schlagen wir am Fuße der selbigen unsere Zelte auf.

Dienstag, 20.09.2011 – Tag 20

So langsam nähert sich unsere Tour dem Ende und die kommenden Tage dienen hauptsächlich dazu, die Strecke nach Ulan Bator zurückzulegen und Sugaraa gibt sein Bestes. Staubwolken hinter uns lassen, hüpfen wir durch die Wüste. Mittags erreichen wir ein kleines Dorf mitten in der Gobi gelegen, wo Sugaraa’s Schwester lebt, die uns den Schlüssel zu ihrer Jurte gibt, so dass wir dort kochen und essen können.

Das Tagesziel heißt Mandalgobi, eine größere Stadt mit etwa 19.000 Einwohnern, in der Sugaraa mit Frau und drei Kindern, sowie sein Bruder leben. Bei letzterem dürfen wir nächtigen, gönnen uns zuvor jedoch im örtlichen Badehaus noch eine heiße Dusche. Vor dem Abendbrot beschäftigen wir Sugaraas kleinste Tochter, die 6 Jahre alt und mit einer scheinbar unendlichen Energie und einer sagenhaften Schmerzunempfindlichkeit ausgestattet ist. Nach dem Abendbrot holt Sugaraa uns und sein Töchterchen ab und wir werden bei ihm auf Milchtee, Wodka, Gebäck, Kamelkäse, sowie Wurst mit eingelegten Gurken eingeladen. Dazu reicht er uns sein Fotoalbum und wir seinen Kindern ein paar Tüten Süßigkeiten. In den 10 Jahren, die er nun schon als Fahrer arbeitet hat er einiges erlebt und ist eine stattliche Anzahl beeindruckender Bilder zusammengekommen.

Mittwoch, 21.09.2011 – Tag 21

Da – wie üblich – am nächsten Morgen noch alle außer mir schlafen, zeige ich Otgu die bisherigen Bilder meiner Reise und auch die meiner Familie, die er sich sehr interessiert anschaut. Seinen Bruder, der Musiker ist und in Nürnberg lebt, hat er dort bereits besucht und somit auch eine besondere Beziehung und Deutschland.

Wir verkürzen die heutige Strecke, um in einer Jurte anstatt in einem Zelt schlafen zu können und halten in einer felsigen Gegend, mit einem etwas höheren Berg in Sichtweite, den ich mit John in Angriff nehme. Bei unserem Aufstieg werden wir von Geiern umkreist und beim Abstieg begegnen mit außergewöhnlich viele Knochen und verwesende Tierskelette.

Donnerstag, 22.09.2011 – Tag 22

Der letzte Tag ist angebrochen und ehrlich gesagt freue ich mich auf die Rückkehr nach Ulan Bator, da die nahezu tägliche Fahrerei doch Kraft kostet und ich mich wieder nach etwas mehr Zivilisation (Essen, Duschen, Heizung, Internet) sehne. Zudem habe ich noch das Projekt „Pass“ vor mir, was wieder stärker in mein Bewusstsein gerückt ist.

Die letzte Etappe fordert dem Purgon, Sugaraa und uns noch einmal einiges ab, bevor wir endlich wieder eine asphaltierte Straße erreichen, auf welcher sich sogar ein Schild befindet „Ulanbataar 35km“. Was auf den ersten Blick suggeriert, wir würden nun in ca. 20-30 Minuten die mongolische Hauptstadt erreichen, erweist sich als grandiose Fehleinschätzung. Die Straße scheint Kriegsschäden aufzuweisen und es wird mehr und mehr ein Hindernisrennen. Dagegen waren die löchrigen Wüstenpisten reine Autobahnen. Nach knapp anderthalb Stunden durchqueren wir das Tor zur Stadt und quälen uns durch die überfüllten Straßen Ulan Bators, die offensichtlich nicht mit der Anzahl der sie befahrenden Autos mitgewachsen sind. Der gemeine Mongole fährt dort nach Lust und Laune, benutzt die Hupe inflationär und hält nur ungern, um Fußgänger die Straße überqueren zu lassen.

Endlich erreichen wir unser Hostel, packen die Sachen in unsere Zimmer, bedanken uns bei und verabschieden uns von Otguu und Sugaraa, nicht ohne eine kleine materielle Zuwendung und ich eile zum State Department Store, bereit dort meinen wiedergefundenen Pass entgegen zu nehmen. Die
Dame am Schalter nickt freundlich auf mein Nachfragen und geht direkt auf eine Schublade zu, öffnet diese und entnimmt…entnimmt einen Stapel verlorener Kreditkarten. Nein, nein, ich suche keine Kreditkarte, sondern meinen PASS! Einen Pass hätten sie leider nein, leider gar nicht. So bleibt mir nur noch der Weg am nächsten Tag zur deutschen Botschaft. Die Hoffnung, dass mein Pass dort gelandet ist, ist minimal. Vermutlich muss ich dort, oder schlimmstenfalls in Deutschland einen neuen beantragen…

About Steffen

Born in 1980 in good old Magdeburg in the GDR (German Democratic Republic). Stayed there for a while, than went to Cuba for a few months. Afterwards finished my studies of business and computer science and started to work in a big consultant enterprise. Quit this job for obvious reasons. Due to the lack of goodwill at the ZVS I started to work as a freelancer in the sector of SAP consulting in Cologne. Planned to do this only for a few months, now nearly passed by two years. Well, time to move on...
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4 Responses to Ulan Bator und 18 Tage Mongolei

  1. Lars says:

    Hey Steffen,

    mal wieder gut gelacht und deine schönen Fotos angesehen. Wirklich sehr sehenswert. Was ist denn mit deiner Sonnenbrille passiert? Trägst da ja so ein Billigmodell auf den Bildern 😉

  2. Thruni says:

    Hey Steffen,

    ganz grosses Lob an deine ausführliche Berichterstattungund die geilen Fotos.
    Grandios geschrieben, macht Freude das zu lesen, und gleichzeitig neidisch.
    Du machst alles richtig, hier verpasst Du nichts.
    Wo bist Du ab Weihnachten?
    Ich will mit Harry und Keven ab Weihnachten 6 Wochen nach Brasilien.
    Das ist so gut wie sicher.
    Lass dir gut gehen, alter und imma schön weita schreiben.

    Grüße aus MD sacht Thruni

  3. Rauol says:

    Hallo Steffen,
    alte Bude. Wie ich sehe geht es dir sehr gut und du hast ne Menge Spaß.
    Ich finde den Blog mal wieder echt Hammer, das lesen macht sehr viel Spaß.
    So wissen wir ganz genau was du wieder für Unsinn machst.
    Die Bilder sind auch wirklich ein Genuss.
    Uns geht es gut.
    Wünsche dir noch viel Spaß.
    Bis später sagt Rauol…dicken Knutsch aus Erfurt von uns 3en

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