Hangzhou

Mit bis zu 320 km/h fliege ich, nachdem ich Peking verlassen habe, vorbei an unzähligen kleinen Maisfeldern, in Richtung der chinesischen Ostküste, mit dem Ziel Hangzhou. Die mir unbekannten Städte, die ich dabei passiere wirken imposant, selbst die kleineren unter ihnen haben eine beeindruckende Skyline und scheinen mehrere Hunderttausende, oder gar Millionen an Einwohnern zu beherbergen, während sie stetig wachsen, wie die vielen Rohbauten und Kräne bezeugen.

Während ich interessiert aus dem Fenster schaue, öffnet mein Sitznachbar seinen Laptop und blättert kurz darauf durch einige technische Zeichnungen von Handtaschen, die mit den exakten Aufmaßen, detaillierten Beschreibungen der Nähte und Knöpfe, sowie Materialmustern versehen sind und eigenartigerweise den Modellen bekannter Marken ähneln. Wer würde da Produktpiraterie vermuten.

Als ich mich der Ostküste nähere, wird es schwer die Stadtgrenzen zu erkennen. Wie ein einziges urbanes Areal wirkt diese Gegend, mit mal kleineren, mal größeren Gebäuden im durchweg zeitgenössischen Baustil. In Hangzhou – einer kleineren chinesische Stadt mit nur ca. 4 Millionen Einwohnern – angekommen, drängen sich die Chinesen aus dem Zug, als gäbe es keine Morgen. Im Bahnhof wartet bereits Katja auf mich, die mich nach Hangzhou eingeladen hat. Geschickt manövriert sie uns durch die Menschenmassen zu ihrem Appartement im 18. Stock im Zentrum der Stadt. Nach meinen ersten Eindrücken, bin ich etwas enttäuscht von der Stadt, wurde sie allseits viel gepriesen und existiert doch das Sprichwort: Im Himmel ist das Paradies, auf Erden ist Hangzhou. Davon ist noch nichts zu spüren gewesen, denn auf mich wirkt die Stadt laut, geschäftig, voller hoher neuer Häuser, ständig hupenden Autos und einem eigenartigen Gestank von frittiertem Tofu in den Straßen – die Spezialität der Stadt. Die Schönheit Hangzhous erschließt sich dem Betrachter wahrlich nicht auf den ersten Blick. Immerhin gewährt der 18. Stock einigen Abstand zum Trubel und bietet Gelegenheit zum Runterkommen und Durchatmen. Katja ist eine erstklassige Köchin und so darf sich mein Gaumen über ein exquisites Süßkartoffelsüppchen und einen raffinierten Salat freuen, bevor ich einen Grundkurs in chinesischer Teekunde erhalte.

Waren meine bisherigen Teekenntnisse hauptsächlich auf Schwarzen, Grünen und Weißen Tee, sowie die allseits bekannten Kräutertees beschränkt, so lerne ich jetzt, dass Schwarzer Tee in China Roter Tee heißt, Kräuteraufgüsse nicht Tee genannt werden, da das eine Entwürdigung der verehrten Teepflanze darstellen würde und es Teesorten wie Pu’er und Oolong gibt, die ihrerseits – wie auch die vorgenannten – nur den Oberbegriff für etliche Sorten darstellen. Für die Teezeremonie benötigen wir ein Teeboard (Oberfläche mit Abfluss), ein Gefäß zum Aufbrühen, eines zum Einschenken, zwei kleine Schälchen zum Trinken, sowie einiges Zubehör, wie Bambuspinzette, Sieb und Teeschäufelchen. Im ersten Schritt, werden alle Gefäße mit heißem Wasser gespült, um sie zu erwärmen. Anschließend gibt sie etwas Tee in das Brühgefäß – welches je nach Teesorte eine kleines Kännchen, aber auch ein kleines Töpfchen mit Deckel sein kann – und füllt es mit heißem Wasser auf, belässt es aber nur für wenige Sekunden im Gefäß, um den Auszug dann in das Kännchen und von dort in die Schälchen zu verteilen. Der erste Durchlauf wird jedoch weggekippt, er dient nur zum Waschen des Tees und zum Aromatisieren der Gefäße. Erst der zweite findet seinen Weg zum Gaumen. Da die Ziehzeit anfangs sehr kurz gehalten und sukzessive gesteigert wird, kann der Tee bis zu zehnmal gebrüht werden. Das Resultat ist, bei entsprechender Qualität des Ausgangsmaterials, ein geschmacklich wesentlich angenehmeres und komplexeres Gebräu, als unsere heimischen Teebeutelaufgüsse. Nach diesem ersten ernsthaften Kontakt mit chinesischer Teekultur, bereite ich mein Gästebett vor – einen Matratzenschoner auf dem Fußboden. Dabei werden noch gar nicht so alte Erinnerungen an harte mongolische Nächte in Zelt und Jurte geweckt, die sich jedoch als unbegründet herausstellen, denn ich liege und schlafe hervorragend. Allerdings nur bis 5.30 Uhr, dann heißt es aufstehen und zum West Lake im Herzen Hangzhous eilen, wo sich bereits in frühester Morgenstund mehr Alt als Jung an Tai-Chi, QiGong, Gymnastik und Tanz erfreut, noch ungestört von den touristischen Horden, die bereits ab 8.00 Uhr massenhaft in Bussen auftauchen und das Ufer des Sees, sowie in Booten auch den selbigen bevölkern, was aber auch den Public Holidays geschuldet ist. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal Allen, die China besuchen möchten, aber von erdrückenden Menschenmengen und überlaufenen touristische Attraktionen eher marginal attrahiert werden ,  ans Herz legen, im Zeitraum vom 1.-7. Oktober jeden Jahres, China zu meiden.

Nach unserer mehrstündigen Wanderung um den West Lake, steht mir Debut bevor, in Form einer chinesischen Fußmassage. Während ich ein großer Fan von Nacken- und Rückenmassagen bin, stehe ich der Fußmassage doch eher skeptisch gegenüber. Doch Katja kennt einen guten und von Einheimischen bestens frequentierten Massagesalon, den wir gemeinsam aufsuchen. Während wir es uns in großen und gemütlichen Sesseln bequem machen, bekommen wir Tee, Melone und kleine Snacks gereicht, bevor ich meine Füße in einen mit heißem Wasser und einer dunklen Essenz gefüllten Bottich tauche, um sie erst mal ca. 10 Minuten lang gründlich einzuweichen. Als sich die Tür zu unserem in gedimmtes Licht gehüllten Raum wieder öffnet, schleichen sich zwei Masseure hinein, die zunächst Nacken und Schultern massieren und anschließend unsere Füße waschen, ehe sie diese in Angriff nehmen, was mich dazu zwingt mein Lachen zu unterdrücken, da der Anfang aus eher sanften Streicheleinheiten besteht. Doch bereits nach kurzer Zeit wechselt der Massagestil und nun werden mit den Handknöcheln und mit reichlich Kraft meine Fußreflexzonen malträtiert, ein nicht durchweg angenehmes Gefühl. Nach einer guten Stunde werden Unterschenkel und Füße erst mit Händen und Fäusten, dann mit kleinen Gummihämmerchen beklopft und wir verlassen mit penibel gereinigten Füßen und äußerst entspannten Füßen den Salon. Resümierend ist festzustellen, dass die Fußmassage wesentlich besser als erwartet war, ich aber weiterhin die Nacken- und Rückenvariante präferiere.

Am nächsten Tag wollen wir uns die ehemalige Herrscherresidenz auf einem Hügel inmitten Hangzhous gelegen ansehen und treffen vorher San Chuan und Yi Pin, zwei Freunde und Kommilitonen von Katja. Auf unserem Weg zum Gipfel des Hügels, wo sich die Pagode über die Stadt erhebt, nimmt die Dichte an Menschen jedoch drastisch zu, so dass wir uns dazu entschließen, lediglich auf den das Monument umgebenden Pfaden zu wandeln und uns „sekundäre“ Sehenswürdigkeiten anzuschauen, was einerseits entspannter und für mich auch interessanter ist. Nach unserem gemeinsamen Mittagessen, trennen sich unsere Wege, um uns am frühen Abend bei San Chuan erneut zu treffen und chinesischem Edeltee zu frönen.

Hangzhous Umgebung bietet einiges an touristischen Sehenswürdigkeiten, so diverse buddhistische Tempel und den Fei Lai Feng, den „Berg, der von weit weg herflog“. Dieser Berg, der laut Legende aus Indien nach Hangzhou flog, birgt einige Grotten in sich und etliche Buddhastatuen, die sowohl in die Grotten, als auch in den blanken Fels gehauen sind. Dabei mischen sich indische, südostasiatische und chinesische Darstellungen der Buddhas. Wie der Ein oder Andere bestimmt vermutet, ist auch dieser weit über die Grenzen der Stadt bekannte Ort das Ausflugsziel ungezählter Menschenmassen und so ist es dem „Insiderwissen“ San Chuans zu verdanken, dass wir uns abseits der crowd auf den Weg zum Fei Xi Tempel machen können, dem spirituellsten Tempel Hangzhous, der hauptsächlich von Gläubigen und Pilgern aufgesucht wird. Allein den Weg dorthin in Ruhe und ohne Gedränge beschreiten zu können ist ein Genuss und auch die Tempelanlage selbst bietet Gelegenheit zum Innehalten und Durchatmen, bevor es wieder zurück in die geschäftige Stadt geht.

Für den Abend haben unsere chinesischen Freunde in ein exklusiveres Teehaus geladen, wo wir allerlei Tee probieren können, ohne kaufen zu müssen und eine erstklassige Beratung bekommen. Das Teehaus scheint auf Pu’er-Tee spezialisiert zu sein, die gepressten Scheiben von ca. 25 cm Durchmesser zieren etliche der Regale und können dabei über 10.000€ kosten für 375g, je nach Alter und Qualität, dennoch ein stolzer Preis.

Und schon ist, Freitag der 07. Oktober, mein letzter Tag in Hangzhou gekommen, die Zeit verging wie im Fluge und nun stehe ich auf dem Bahnhof, verabschiede mich von Katja und besteige meinen Zug, der mich in nur knapp 52 Stunden von Hangzhou an der Ostküste Chinas nach Chengdu im Westen, nahe Tibet gelegen, bringen wird.

About Steffen

Born in 1980 in good old Magdeburg in the GDR (German Democratic Republic). Stayed there for a while, than went to Cuba for a few months. Afterwards finished my studies of business and computer science and started to work in a big consultant enterprise. Quit this job for obvious reasons. Due to the lack of goodwill at the ZVS I started to work as a freelancer in the sector of SAP consulting in Cologne. Planned to do this only for a few months, now nearly passed by two years. Well, time to move on...
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2 Responses to Hangzhou

  1. Lars says:

    Lecker Tee – würde mich auch mal interessieren wie du die Tees so fandest.

  2. Rauol says:

    Hallo Steffen!!

    Schönen Gruss aus der Heimat. “Fußmassage ” aha so ist das also;-)
    Lass es dir gut gehen bis bald…

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