Chengdu

Mit einem Rucksack auf dem Rücken, den anderen vor der Brust, zwänge ich mich durch den gut gefüllten Zug zu meinem Abteil und verstaue meine Gepäck unter meinem Bett, bevor ich mich hinsetze und erst mal durchatme. Im Abteil neben mir, sind zwei kleine Mädchen, die mich mit einer Mischung aus Neugier und Angst betrachten und sich hinter ihren Müttern verstecken als ich ihnen zu lächele und winke. Welche bemerkenswerte Wirkung auf Frauen ich doch habe.

Nach und nach gewöhnen sich die beiden an mich und spielen nun unbeschwert in ihrem Abteil und tollen herum. Als einer der beiden ein Spielzeug, oder war es was Süßes, auf den Boden fällt, will ich das Eis zwischen uns brechen und beuge mich nach unten, um den Gegenstand aufzuheben. Gerade rechtzeitig kann ich meine Hand noch stoppen, denn nun habe ich realisiert, um was es sich handelt: die beiden haben gekochte Hühnerfüße zum Naschen bekommen und einer liegt direkt vor mir auf dem Boden. Da hat meine Hilfsbereitschaft dann doch Grenzen und ich mache es mir in meinem Bett bequem, was dem Kollegen über mir die Gelegenheit verschafft, mit seinen drei Kernkompetenzen zu glänzen: rülpsen, niesen und furzen, was er auch ausgiebig tut und zwar die ganze Fahrt über. Während ich sehen kann, wie eine schleimige Masse aus seiner Nase schießt, wenn er niest, bleibt mir verborgen, ob auch beim Rülpsen Materie seinen Körper verlässt und ich wünsche mir inständig, dass dies bei seiner dritten Kernkompetenz nicht der Fall ist.

Ich vertreibe mir die Zeit hauptsächlich mit lesen, habe ich doch in Peking für 20 Yuan eine englischsprachige Ausgabe von Victor Hugos „Les Miserables“ erworben und ca. 1500 Seiten, nicht gerade in einfachstem Englisch verfasst, möchten auch erst mal gelesen werden.

Am Fenster ziehen nun auch kleinere Dörfer und Städtchen vorbei, die wesentlich ärmer wirken, als die großen Metropolen, aber einen anderen Eindruck von China vermitteln, als ich bisher bekam. Und auch die Landschaft wird abwechslungsreicher: eindrucksvolle Berge, Flüsse, Reisfelder und Ebenen wechseln sich ab. Und so verrinnt die Zeit im Zug schneller als erwartet und plötzlich sind es nur noch zwei Stunden bis Chengdu, die sich allerdings noch mal in die Länge ziehen, da der Zug ständig aus nicht nachvollziehbaren Gründen hält.

Nach mehr als zwei Tagen verlasse ich den Zug nun endlich und freue mich auf eine heiße Dusche und ein warmes Essen. Vor dem Bahnhof warten bereits etliche Taxis auf mich, aus denen ich das Erstbeste auswähle und für ca. einen Euro zu meinem Hostel gefahren werde. Wie üblich ist der Himmel grau und bewölkt und das Stadtzentrum ähnelt denen der anderen größeren Städte, die ich bereits erlebt, oder durchfahren habe – moderne Architektur, hohe Bauten, nachts viele bunte Lichter. Wie wohltuend die Dusche doch ist und zum Abendmahl wird auch passend ein Film im gemütlichen Hostel gezeigt, so dass ich mir noch ein, zwei Bier genehmige, bevor ich ins Bett gehe.

Am Montag um 10 Uhr ist ein geführter Spaziergang durch Chengdu angesagt, auf dem Plan stehen zwei Klöster für Nonnen, das ehemalige französische Konsulat, das nun einen Kindergarten beherbergt, ein paar Blocks, ein Domizil in den 80ern erbaut und nun schäbig, für die weniger Wohlhabenden, sowie einiges was auf dem Weg liegt. Mein Plan für die nächsten Tage sieht vor meine Weiterreise nach Tibet wasserdicht zu machen, Chris und Tasha, die ich auf Olkhon traf, haben bereits eine Tour organisiert und ich muss nun nur noch mein Zugticket kaufen. Leichter gesagt als getan, denn als Ausländer braucht man für eine Reise in die autonome Region Tibet eine Erlaubnis, die man nur bekommt, wenn man eine Tour mit einem akkreditierten Veranstalter bucht. Und ohne diese Erlaubnis, bekommt man auch kein Ticket zu kaufen. Meine Erlaubnis ist noch in Bearbeitung und so versuche ich die im Hostel anwesenden Chinesen dazu zu bringen, mir ein Zugticket zu kaufen, da sie nichts vorweisen müssen und ich ja eine Kopie meiner Erlaubnis in den nächsten Tagen zugesandt bekomme, also alles mit rechten Dingen zugeht und niemand etwas befürchten muss. Doch leider erklärt sich niemand bereit und so warte ich die nächsten beiden Tage, bis am Mittwoch schließlich die ersehnte Email in meinem Posteingang liegt und ich die Kopie ausdrucken kann, damit zum Ticketbüro gehe und der gute Mann mich abweist. Diesmal ist mir aber jemand aus dem Hostel behilflich und endlich halte ich meinen Fahrschein nach Lhasa in den Händen. Diese Verzögerung hat meinen Plan, mich bereits vor dem Besuch der autonomen Region Tibet in einem Teil Tibets (die westlichen Provinzen Chinas: Yunnan, Szechuan, Qinghai und Gansu beherbergen nämlich einen nicht unwesentlichen Teil tibetischer Kultur, Klöster und Tibeter selbst und da sich diese Gebiete außerhalb der autonomen Region befinden, sind sie mit wesentlich weniger Restriktionen, z.B. keine Erlaubnis und kein Guide erforderlich  zu bereisen) umzuschauen, zunichte gemacht. Zudem bin ich nach nunmehr guten zwei Monaten des Reisens etwas ermüdet und das Wetter in Chengdu (wolkig, grau, mal Regen) tut sein Übriges, um mich im Hostel zu halten. Sicher, ich könnte die größte und vllt hässlichste Buddhastatue der Welt in Leshan besuchen, mir Pandas im Gefängnis bei der Aufzucht anschauen und zum verregneten und den völlig überlaufenen heiligen Berg Emei Shan besteigen, aber all dies wirkt wenig motivierend auf mich und daher widme ich mich meinem Buch, dem Schachspiel, einigen Filmen und gutem Essen. Sicher, das ein oder andere Mal verlasse ich das Hostel auch, ohne auf Nahrungssuche zu sein und schaue mir die örtliche Maostatue, eine Moschee und den People’s Park an, aber sonst hänge ich einfach mal nur rum, entspanne und erhole mich. Am Sonntag treffe ich Chris und Tasha, sowie ihren Freund Tom, der zufälligerweise auch bei Accenture arbeitet, im Hostel und wir bereiten uns schon mal langsam auf unsere Tibettour vor. Das setzen wir am Montag fort und machen uns nach dem Abendbrot auf zum Bahnhof, wo um 20:59 Uhr Zug Nr. T22 mit Ziel Lhasa und einer Fahrzeit von 43 Stunden und 50 Minuten mit uns Chengdu verlassen wird…

About Steffen

Born in 1980 in good old Magdeburg in the GDR (German Democratic Republic). Stayed there for a while, than went to Cuba for a few months. Afterwards finished my studies of business and computer science and started to work in a big consultant enterprise. Quit this job for obvious reasons. Due to the lack of goodwill at the ZVS I started to work as a freelancer in the sector of SAP consulting in Cologne. Planned to do this only for a few months, now nearly passed by two years. Well, time to move on...
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2 Responses to Chengdu

  1. Sebastian B. says:

    Immer wieder unterhaltsam Deine Berichte. Bring mir doch mal bitte so nen Käfer-Snack mit- sieht sehr appetitlich aus und ist mal was anderes, als immer nur Chips abends auf der Couch… 😉

    Halte durch Kumpel!

    Gruß, Basti

  2. Thruni says:

    Moin Zimmer,
    immer wieder grosses Lob, lese voll gerne deine Reiseberichte.
    Nach Lhasa, auf´s Dach der Welt, bis vor einiger Zeit für Leute wie uns nicht möglich.
    “NEID”
    Mir antworteste ja nie…………….
    Wat machste nu im Dezember, Januar Februar.
    Ick hab jetz jebucht und flieg mit Harry am 20. Dez. nach Salvador de Bahia.
    Wollen vom 27.12.- 03.01.2012 auf de Universo Paralello in Pratigi.
    Danach entspannt mit nem Mietwagen über 3 Wochen runter nach Rio, Karre abgeben.
    3-4Tage Rio, unn dann rüber mit´m Bus zum Löscher nach Asuncion, nach Paraguay.
    Da kleine Rundreise unn bleiben bis 8. 02.2012.
    Wenn de inne Nähe bist, unn Interesse hast, dich mit Idioten wie uns abzugeben musste dich halt ma melden.

    Ansonsten iss allet richtisch wat de machst, unsere Welt hier ändert sich null.
    Du wirst irgendwann wieder kommen, unn sofort wieda wech wollen.

    PS.: Mein erster Plan war auch inne Berge, Ladakh, Zanskar.
    War bis jetz nur auf indischer Seite, Assam, Darjeeling, Gangtok.
    Iss abba auch schön, die Spitze der Welt zu sehn.

    Gehab dir wohl, see you, unn meld dir ma…..

    Thruni

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