Und eine weitere holprige und kühle Nacht in einem indischen Bus ist vorüber, als wir uns mit nur 3 Stunden Verzögerung am 16.Dezember Diu nähern, wie mir Googlemaps dank der wunderbaren Precachefunktion verrät. Das Busterminal in Diu ist wahrlich kein Highlight. Die in einem Gebäude am Rande des Platzes untergebrachten „Toiletten“ sind von besonderer Qualität. Je tiefer man in den Raum vordringt, in dem sich einige Löcher parallel zur Rückwand befinden, um so tiefer gerät man in eine Labyrinth von Urin umspülten Kothaufen, was mich unmittelbar dazu bewegt, penibelst darauf zu achten, dass meine Fußspitzen beim Urinieren außerhalb der Gefahrenzone bleiben.
Der freundliche und leicht nach Alkohol riechende Rickshawfahrer bringt uns durch das verschlafene und gerade im Aufwachen begriffene Diu zu einer erhöht gelegenen alten portugiesischen Kirche, in der ein Kirchenmuseum und das Hostel „Sao Tomao“ untergebracht sind, in welchem wir für 300 Rps. pro Person und Nacht einen großzügigen saalartigen Raum mit drei Betten ergattern können, bevor wir uns mit einem leckeren Frühstück für die Strapazen der Reise belohnen. Obwohl ich noch nicht dort gewesen bin, habe ich das Gefühl mich in einer mexikanischen Kleinstadt zu befinden, bedingt durch die Sakralbauten und Überbleibsel der Kolonialarchitektur, die zusammen mit Palmen und tropischer Vegetation das Bild prägen. Wären da nicht die Hindimusik und die kopfwackelnden Inder, die mich dann doch wieder zurück in die Realität holen.
Der Charme Dius liegt wohl hauptsächlich in dieser verschlafenen, vom Hauptstrom der Indienreisenden verschont gebliebenen Atmosphäre, was dafür sorgt, dass sich nahezu alle ausländischen Touristen nach 2-3 Tagen persönlich und mit Namen kennen, die Strände nahezu menschenleer sind, bis auf den besonders bei indischen Touristen beliebten Nagoa Beach, täglich welcher Busladungen von komplett bekleideten und im hüfttiefen Wasser planschenden Indern verarbeiten muss, die angelockt werden durch den billigen Alkohol, der auf Diu erhältlich und in der umliegenden Provinz Gujarat verboten ist.
Erstaunlich ist es, wie männliche Inder scheinbar aus dem nichts an allen Stränden Dius auftauchen – scheinen sie auch noch so abgelegen und menschenleer – sobald ausländische Touristen sich dort niedergelassen haben und dann dort, an einem kilometerlangen und mehrere Dutzend Meter breiten Strand in nur wenigen Schritten Abstand zu diesen vorbeiflanieren, um gierige Blicke auf spärlich bekleidete weiße Frauen erhaschen zu können. Einige von ihnen bleiben dann auch gerne in nur 1-2 m Entfernung von uns stehen, machen es sich hockend bequem und gaffen. Freundliche Aufforderungen, sich mit erhöhter Geschwindigkeit zu entfernen, werden gekonnt ignoriert. Der Höhepunkt dieses interkulturellen Austauschs ist die Performance eines dieser Spezialisten am „Empty Beach“. Der Strand heißt Empty Beach, weil er nahezu immer empty ist. Es sei denn, es sind irgendwo entlang der Straße Scooter, oder Motorräder – mit denen für den Verleih üblichen gelben Kennzeichen – geparkt. Dann schießen sie wie Pilze an einem feuchtwarmen Herbsttag aus dem Boden, die Gaffer. Und so sind wir nicht verwundert, als ein Einheimischer ca. 10-15 m entfernt von uns auftaucht. Als er jedoch anfängt sich zu entblößen, heben sich meine Augenbrauen und ich frage mich und die Mädels, was das wohl wird. Ach, der würde sich dort nur entleeren, wird mir geantwortet. Ja, dessen bin ich sicher, nur was es ist, dessen er sich entleert bleibt unklar, bis mir die repetitiven Vor-und-Zurück-Bewegungen seiner Hand auffallen, so dass ich zu meiner Kamera greife, um das Spektakel zu dokumentieren, was er jedoch bemerkt und „einpackt“ bevor er sich zur Seite dreht. Diesmal scheint das Maß voll und ich habe das unstillbare Bedürfnis meinen Beitrag zur Verständigung zwischen den Völkern zu leisten und möchte ihm gerne unsere kulturelle Sicht auf derlei Dinge mitteilen und so sprinte ich in seine Richtung. Bereits in der Flucht begriffen, schüttelt er eine klebrige Substanz von seiner Hand, was mich verwundert, da seine Selbststimulation nicht mal eine halbe Minute dauerte und er beginnt um sein Leben zu rennen. Scheinbar wirke ich furchteinflößender, als mir selbst bewusst ist, aber meine Fußsohlen scheinen empfindlicher zu sein als seine, was ihm den entscheidenden Vorteil verschafft und mich dazu bewegt zurück zu kehren. Und wieder einmal werden wir überrascht, als eine Gruppe von ca. 15 Jugendlichen sich aus dem Nichts materialisiert und uns helfen möchte, indem sie mich zum Motorrad des Sittenstrolches führt, jedoch enttäuscht ist, als ich nur Fotos seiner Kennzeichen mache. Ihr Verständnis von Gerechtigkeit geht da weiter und so zerstören sie freudvoll seine Reifen und fragen uns, ob sie nicht eine Flasche Wasser haben können, die sie in seinen Tank schütten möchten. Das scheint uns zu viel des Guten und ich warte noch eine halbe Stunde, ob mein neuer Freund zurückkommt, bevor ich zurück ins Dorf fahre.
Abgesehen von den diversen Stranderlebnissen und dem traurigen Höhepunkt ist und bleibt Diu ein wundervoller Platz zum entspannen. Die Menschen sind offen und freundlich und Frauen und Kinder in den auf der Insel gelegenen kleinen Fischerdörfchen begrüßen Fremde gerne mit großem Hallo, Winken und einem herzlichen Lachen. Dort können wir auch die Fischereiflotte der Insel betrachten, aber ich schaffe es nicht mich dazu durchzuringen, im frühen Morgengrauen dort zu sein, um die heimkehrenden Fischer und ihren Fang begutachten zu können. Zudem ist diese schon am Tage von einer dichten Wolke fischigen Gestanks umgeben, der allein beim Durchfahren das Bedürfnis sich zu übergeben auslöst. Stattdessen schaue ich mir an, wie Schiffe auf traditionelle Weise aus selbstgehauenen Planken und Balken in Sichtweite des Hafens gefertigt werden, denn dies passiert den ganzen Tag über und passt besser zu meinem Biorhythmus.
Als wir eines Tages wieder einmal am Strand sind und sich ein Grüppchen von Indern nähert, läuten bei uns die Alarmglocken. Doch diesmal völlig unberechtigt, denn das kleine Grüppchen von örtlichen Fischern in ihrer Mittagspause ist einfach nur neugierig und nach einem kurzen Gespräch möchten sie uns zum Mittag auf eines ihrer kleinen Boote einladen, wo sie uns hausgemachten Curryreis mit Fisch und Shrimps und einem breiten Lächeln servieren, bevor sie uns sicher wieder an Land bringen und herzlich verabschieden.
Auf meiner Suche nach Milch und Yoghurt für mein morgendliches Müsli, treffe ich in der Mitte von Diu-Town auf den örtlichen Lassiwallah, der eine lokale Berühmtheit sein muss, wie die unzähligen Zeitungsausschnitte, die ihn mit indischer Prominenz zeigen und seinen Shop zieren suggerieren. Als ich neben einer Tüte Milch ein Bananalassi ordere, beginnt die Show! Bevor er sich ein Glas greift und es mit Yoghurt füllt, dreht er die indische Musik auf, die nun aus seinen Boxen dröhnt und seine Tanzperformance untermalt. Sich drehend und Pirouetten vollführend, das Glas mit ausladenden Bewegungen seiner Arme durch die Luft wirbelnd und mit seinem Publikum kokettierend, füllt er es mit mehr und mehr Zutaten, bevor er es über den Tisch zu mir gleiten lässt. Anstatt des gewohnten Bananen-Yoghurt-Gemischs erwartet mich ein aromatisches Novum, denn der Lassiwallah hat etliche Wässerchen und Sirupsorten während seines Tanzes in mein Lassi geschüttet und so bin ich in erster Linie damit beschäftigt zu erraten, wonach mein Lassi denn schmeckt.
Und wieder ein mal sind die Tage, fünf an der Zahl, wie im Fluge verstrichen, zwischen Strand, Sonnenuntergängen, abendlichem Barbecue, Seafood und anderem köstlichen Essen, Lachen, Schlafen und Relaxen, als ich mich mit meinen beiden Sophies in der Mittagshitze auf dem staubigen Terminal wiederfinde, welches uns so herzlich empfangen hat und von wo aus uns der Bus nach Bombay bringen soll. Unglücklicherweise fahren mehrere Busse zur gleichen Zeit ab, was leicht chaotisch ist, nur unser Bus ist nicht dabei. Sagen jedenfalls die Inder. Doch wer einmal in Indien war und versucht hat, dort verlässliche Information zu bekommen, der weiß, dass 5 Inder 6 verschiedene Antworten auf die gleiche Frage geben können. Glücklicherweise scheinen sie diesmal – fast – recht zu haben, denn auch wenn sie uns allen Ernstes alle 10 Minuten erzählen, der Bus würde in 10 Minuten kommen, was er natürlich nicht macht, so kommt er doch nach anderthalb Stunden, denn er musste noch tanken. Egal, wir sind froh den Bus nicht verpasst zu haben und rumpeln los in Richtung Mumbai, aber nach nur 100km, oder besser gesagt 4 Stunden auf der Straße halten wir an einem kleinen Restaurant am Rande der Straße. Da wir annehmen es sei der übliche „Toiletten- & Abendbrotstopp“ beeilen wir uns mit allem was wir zu tun haben, bevor uns die anderen Inder, die mit uns im Bus sind mitteilen, dass einer der Kolben gebrochen sei und wir nun auf einen neuen warten würden, den der Fahrer mit seinem Mechaniker dann einbauen würden. Tatsächlich dauert es nur zwei Stunden, in denen wir ein köstliches Thali für 40 Rps. verzehren, bis alle Reparaturen auf offener Straße erledigt sind, wir den Bus wieder besteigen können und unsere Fahrt in die Nacht fortsetzen können…
oh man tolle gute-nacht-geschichten. wundervoll geschrieben und hat mich auch das ein oder andere mal zu schmunzeln gebracht. danke 🙂
viel spaß noch